Nomadland

Vor einem Jahr wurde der Film Nomadland von Chloé Zhao in Venedig und Toronto zum ersten Mal vorgeführt. Seitdem gewann er mehr als 200 internationale Preise, darunter drei Oscars. Francis McDormand spielt Fern, die sich nach der Schließung der Fabrik ihres Arbeitgebers und dem Tod ihres Mannes als Jobberin über Wasser hält und im alten Wohnmobil durch schier endlose Weiten fährt.

Go West! hieß in den Vereinigten Staaten die Losung ab Anfang des 18. Jahrhunderts. Pionierfamilien kämpften sich im Planwagen durch die Wildnis, um sich wo anzusiedeln und ihr Auskommen zu finden. Dann war das ganze Land erschlossen, waren die Ureinwohner vertrieben und ermordet worden, und man konnte sich dem eigenen Gedeihen widmen. Das tut man bis auf den heutigen Tag, nur ist man sesshaft — bis auf Ausnahmen: die Verlierer. Eine Million Immobilien wurden nach der großen Finanzkrise 2009 in den USA zurückverlangt, so dass viele Bürger plötzlich keine Bleibe mehr hatten und verschwanden, vielleicht auch aus Scham.

Schon zur Pionierzeit bewegte sich der Tramp auf der Landstraße und der Hobo im Zug, um Arbeit zu suchen. Diesen Archetypus belebt Chloé Zhao mit ihrem Film, indem sie arme Leute zeigt, die aber nicht so arm sind, als dass sie nicht einen Van (ein Wohnmobil) hätten. Wer homeless ist, der ist echt obdachlos. Fern sagt stolz: »I’m houseless, not homeless.« (My Van is my Castle.) Sie fährt wie viele Richtung (Süd-)Westen, weil es da wärmer ist. Wer wenig Geld hat, will es wenigstens warm haben. Dann ist leider eine Reparatur am Van fällig, 2300 Dollar, und Fern pumpt ihre Schwester an, muss dafür deren Familie besuchen.

Das könnte Geborgenheit schenken; doch wer jeden Morgen über die Prärie blickt und die Sonne aufgehen sieht, fühlt sich im Familienkreis eher eingesperrt. Auch später, als ein befreundeter »Nomade« sie ins Haus seines Sohnes einlädt und zum Bleiben bewegen will, sucht Fern das Weite, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie hat ja unter den Reisenden mit ihren Stellplätzen in der Wüste ihre menschlichen Kontakte.

Es geht ums Unterwegssein, und auch die Zeit und ihr Verstreichen spielt eine Rolle: Fern geht in die aufgelassene Fabrik mit ihren Spuren, die an die Mitarbeiter erinnern, und sie besucht ihr altes Haus am Rand der Wüste, in dem sie 40 Jahre mit ihrem Mann lebte, routiniert, nicht unbedingt freudig. Aber was spielt das schon für eine Rolle, es ist vorbei, wir sind ewig hier und mit unserem Bewusstsein ewig unterwegs. Wichtig ist, was wir gelernt haben, nicht wie (sagte uns gestern der Weise, der mit Jayne Smith sprach). Diese Reise hier endet, um woanders weiterzugehen; denn auch unter den Nomaden sterben sie, und so ist es nur konsequent, wenn es am Ende heißt:

Gewidmet denen, die abgefahren sind.
Wir sehen uns irgendwo wieder, auf der Straße.

Bob Wells, ein Nomaden-Guru und Initiator einer Zelt- und Van-Stadt, spricht über seinen Sohn, der sich das Leben genommen hat und erwähnt, er würde ihn irgendwo wiedersehen; und sie, Fern, werde ebenso ihren Mann wiedertreffen, wenn sie das wolle, und so ist Nomadland auch ein Film über das Leben, das weitergeht, hier wie dort.

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