Die Schwärmer

Ich fuhr an einem heißen Sonntag (ja, es war Ferragosto, vor einem Monat) mit dem Rad zum Rhein, dachte an Bérenger aus den Nashörnern und seine Liebesschwüre und an den Leitartikel des Chefredakteurs eines Porsche-Magazins, »Christophorus«, das voll hohlem Pathos und hochdröhnenden Parolen war und dachte mir: Vielleicht sind ja doch die Männer das schwache, jedoch stark scheinen wollende Geschlecht; sie sind eine Truppe von Schwätzern und Schwärmern.

Vielleicht hat das alles schon früh angefangen: Als die Männer in der Steinzeit auf Jagd gingen und einander nötig hatten. Dabei entstand eine besondere Kumpanei, in der jeder sich anerkannt wissen wollte, sich aufspielte und versuchte, seinen Rang in der Jagdhierarchie zu verbessern. Später wurde der Mann Chef von Haus und Hof und lernte, sich mit großen Sprüchen zu behaupten, was leicht war, da ja nur er reden durfte; die Frauen hatten nichts zu sagen. Ach, das ist nun so locker dahingesagt, gewiss gibt es eine Menge Untersuchungen darüber, dass der Mann seine Aufgabe darin sieht, sich in der Gemeinschaft auszuzeichnen und emporzuschwingen.

Männer kennen durch ihre seltsame Kumpanei auch das Wort Treue, und irgendwie hängen sie sich mit Leib und Seele daran. Sie gehen für die Gruppe und für die Idologie über Leichen — siehe die ganz normalen Männer. Ohne Männer hätte es keinen Faschismus gegeben, der alle Werte hochhält, die der durchschnittliche (schwache) Mann stets verehrte: den starken Mann, das Gesetz des Stärkeren, das Leben als Kampf, den Untergang der Ehrlosen und Wehrlosen. Das Sich-Klammern an eine Ideologie bei gleichzeitiger Blindheit für deren Schwächen zeichnet den Mann aus.

Das Problem ist, dass wir keine Kontrollgruppe von Frauen haben. Wir wissen nicht, wie Frauen auf den Faschismus reagiert hätten, wären sie in der Position der Männer gewesen; sie drifteten ja immer in Dunkel der Geschichte dahin. Ich meine, dass Schriftsteller oft geahnt haben, was Frauen auszeichnet. Nehmen wir Gertrud, die im Wilhelm Tell Schillers ihren Ehemann Stauffacher ganz vorsichtig zur Rebellion hinführt oder Berta, die Adelige, die im selben Stück Rudenz zur Räson ruft: Er solle dem Volk dienen und nicht den Österreichern! Daisy aus den Nashörnern gehört dazu. In Büro erscheint sie uns zwischen vier Männern als blondes potenzielles Sexualobjekt, doch gegen Ende zu befreit sie sich, bringt eine Portion Realismus in die Sache und enttarnt Bérenger als Hohlkopf.

Frauen sind vielleicht objektiver und eher realistisch, sie lassen sich nicht so leicht um den Finger wickeln, wenn es um Ideen geht. Man hat das Gefühl, in allem sähen sie ein Stück weiter, in die Dinge hinein, und in der Bedrängnis sähen sie noch den Sinn und ein offenes Türlein, wo der Mann sich in den Kampf wirft und dann endlich, geschlagen, aufschreit und verzweifelt aufgibt. Es ist sicher kein Zufall, dass die schrecklichen Bücher über beschwerliche Lebensläufe, die ich dieses Jahr las, von Frauen handeln. Frauen schlagen sich durch, Frauen machen weiter und geben nicht auf, als wüssten sie, dass es sich lohnt, weiterzukämpfen.

Noch ein Zitat aus meiner derzeitigen Lektüre, dem dokumentarischen Buch Stella von Peter Wyden (1992). Der 1922 geborene Wyden erzählt vom Auftreten der Nazis in Berlin, was Juden das Leben unmöglich machte. Seiner Mutter war alles klar.

Sie wollte weg, obwohl mein Vater, mein ehrwürdiger Opi, sonst die Autorität der Familie, sich nachdrücklich dagegen aussprach. Es war gar nicht ungewöhnlich in diesen Familien, die über Gehen oder Bleiben entscheiden mussten, dass die Frauen mehr Energie und Unternehmungsgeist aufbrachten als die Männer. … Frauen waren weniger standesbewusst, weniger finanziell orientiert als Männer. Sie schienen weniger unflexibel, weniger vorsichtig zu sein und sicherer, dass sie auch auf neuem Boden gedeihen und notfalls … auch einen neuen Mann finden könnten, der sie unterstützen und einen brauchbaren Partner abgeben würde.

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