Die Kirschen der Freiheit

Ich dachte über die Partisanen nach, wanderte an meinem Bücherregal vorbei, blieb bei Alfred Andersch (1914-1980) stehen, holte sein Gesamtwerk heraus, schlug es auf – und landete bei Die Kirschen der Freiheit. Das ist ein guter kurzer Roman über einen deutschen Soldaten in Italien, der davon träumt, zu desertieren und es dann auch tut. Das Buch ist 1952 erschienen.  

Die Kirschen der Freiheit ist ein ziemlich getreuer autobiographischer Bericht, in Ich-Form geschrieben, aber so, dass er als Roman gelesen werden muss. Andersch selbst desertierte Anfang Juni 1944 bei Oriolo in der Toskana und lief zu den Amerikanern über. Das Buch behandelt seine Jugend in München, seinen Weg zu den Kommunisten, die Zeit in der Armee und die Flucht. Desertion war ja immer ein furchtbarer Makel. Der deutsche Mensch musste sich dem Untergang stellen, das Soldatsein war seine Identität. Es war darum mutig, darüber zu schreiben.  

Das Buch ist aber eine eher gemütvolle Darstellung des Krieges, sieht man von einer Szene ab, in der der Erzähler und andere Überreste von Opfern von Nettuno in Säcke packen und in Massengräbern werfen müssen. Sonst gibt es viele nachdenkliche Stellen, Überlegungen und Reflexionen über Gott und die Welt, was damals in solch einem Roman erwartet wurde. Aber es hemmt den Erzählfluß und verdeckt die Grausamkeit des Krieges. Der Partisan Johnny in Beppe Fenoglios Buch denkt nicht viel nach. Er leidet. Er kämpft. Er versucht zu überleben.  (Foto: eine Zeichnung von Bill Mauldin, geboren 1921. Aus der Library of Congress) 

Es gibt nicht viele schonungslose deutsche Kriegsbücher. Vielleicht Hunde, wollt ihr ewig leben von Fritz Wöss oder die Werke von Gert Ledig (1921—1999), der zuletzt in Utting am Ammersee lebte: Die Stalinorgel, Vergeltung, Faustrecht. Doch in den 1950-er Jahren stieß seine unverblümte Darstellung des Kriegs auf Ablehnung: In Deutschland wollte man aufbauen und die Vergangenheit abhaken, wie so oft (auch die Mauer hat man schnell abgebaut). Ledig reagierte auf die Ablehnung und schrieb nichts mehr.  

W. G. Sebald hat sein Buch Vergeltung hervorgehoben und neu bekannt gemacht. Der Schriftsteller schrieb den Aufsatz Konstruktionen der Trauer und prangerte an, dass deutsche Autoren nach dem Krieg sich nicht der Aufarbeitung gestellt hätten. Hans Erich Nossack hebt er hervor, aber »die Mehrzahl der repräsentativen Autoren der neuen Republik (wie etwa Richter, Andersch, Böll)« sei damit befasst gewesen, »den Mythos vom guten Deutschen zu propagieren, der keine andere Wahl hatte, als dulderisch alles über sich ergehen zu lassen.« Die belastete Vergangenheit sei »weniger emotional als sentimental ›aufgearbeitet‹ und zugleich angelegentlich erfolgreich vermieden« worden. (Foto: Schädel von Soldaten in Castiglione am Gardasee, von einem Krieg 1867) 

Dann schwärzte Sebald Andersch, der sich nicht mehr wehren konnte, als Mitläufer an, und das war gewiss übertrieben. Der Autor, der sich 1958 aus Unzufriedenheit mit der Lage in Deutschland im Tessin niederließ, war zwar kein Kämpfer gegen die Nazis, aber durchaus regimekritisch. Der Aufbruch war für ihn wichtig. Franziska verlässt im Roman Die Rote (1961) die gleichgültige Welt ihres Mannes. Der Schritt über die Grenze.     

Aber vergessen wir nicht, dass auch in Italien und Frankreich die Vergangenheit geschönt wurde. Der Mythos der Résistance war in Frankreich nicht rein; es gab Kollaborateure und Spione. Und in Italien verschloss man viele Jahre die Augen vor der Tatsache, dass im Inneren des Landes Ende des Kriegs fast ein Bürgerkrieg wütete, denn Teile der Bevölkerung kämpften für Mussolini und die Deutschen. Die Vergangenheit holt uns immer wieder ein, und erst, wenn wir uns ehrlich ihr gestellt haben, können wir sie weglegen. 

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