Der alte Großvater und der Enkel

Da wir vorgestern Grimms Märchen erwähnten: Sie sind manchmal so schön pädagogisch. Das Totenhemdchen legt nahe, nicht übertrieben zu trauern; das Leben muss weitergehen. Der alte Großvater und sein Enkel sagt den Lesern, dass sie auch einmal alt sein werden, was man gerne ignoriert wie auch die Tatsache, dass man einmal sterben wird. 

Es war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun bei Tische saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floß ihm auch manches wieder aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor, und deswegen musste sich der alte Großvater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt; da sah er betrübt nach dem Tisch, und die Augen wurden ihm nass.

2021-10-23-0001Einmal auch konnten seine zitterigen Hände das Schüsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, er sagte aber nichts und seufzte nur. Da kaufte sie ihm ein hölzernes Schüsselchen für ein paar Heller, daraus musste er nun essen.

Wie sie da so sitzen, da trägt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zusammen. »Was machst du da?« fragte der Vater. »Ich mache ein Tröglein«, antwortete das Kind, »daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin.« Da sahen sich Frau und Mann eine Weile an, fingen endlich an zu weinen, holten alsofort den alten Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mit essen, sagten auch nichts, wenn er ein wenig verschüttete.   

 

Illustration: wie gestern, Ruth Koser-Michaëls (1896-1968), die mit ihrem Mann mehrere Märchenbände mit Bildern ausstattete

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