Valentin und die Neue Verkehrsordnung

Zum Valentinstag ein Beitrag unseres geschätzten kreativen Münchners Karl Valentin, der dada war, schon bevor die entsprechende Bewegung in Zürich gegründet wurde und Surrealist noch vor André Breton und Paul Éluard. Heute spricht er als Stadtkämmerer Wstlpnpf zu uns, um die bedrohliche Lage im Verkehr zu beruhigen. 1937 geschrieben, arg kann es da nicht gewesen sein.

Nach einem Glockenzeichen sagt der 1. Stadtrat:

staumünchenEs gab einmal eine Zeit in der es nur Fussgänger gab und keine Fahrzeuge, ich denke hier zurück an die Zeit der Erschaffung der Menschheit. Zu dieser Zeit hatte es natürlich die Verkehrspolizei leicht, aber heute, wo Millionen von Verkehrsmitteln, Autos, Strassenbahnen, Radfahrer etc. durch die Strassen der Grossstädte rasen, müssen unbedingt neue Verkehrsordnungen geschaffen werden. Ein ganz neues aufsehenerregendes System hat nun unser Herr Stadtkämmerer Wstlpnpf ausgedacht. Ich erteile somit Herrn Stadtkämmerer Wstlpnpf das Wort. (Bild rechts: Stau in München, ca. 1960)

STADTKÄMMERER: (…) Die Autos durchsausen die Strassen, die Radfahrer fahren wie sie wollen, die Fussgänger gehen mitten auf der Strasse spazieren, kommen zwischen die Wagen, die Sanitätskolonnen haben Hochbetrieb, die Krankenhäuser können die Verwundeten wegen Platzmangel nicht mehr aufnehmen! — — Dies alles kann nur anders werden durch meinen Vorschlag, der alle diese Missstände auf einmal aus der Welt schafft. Mein Vorschlag ist folgender und jeder Irrsinnige wird mir recht geben. Der Verkehr soll folgendermassen aufgeteilt werden:

Täglich von 7— 8 Uhr Personenwagen, von 8—9 Uhr Geschäftsautos, von 9—10 Uhr Strassenbahnen, von 10—11 Uhr Omnibusse, von 11—12 Uhr Feuerwehr, von 12—1 Uhr Radfahrer, von 1—2 Uhr Fussgänger.

Sollte diese stundenweise Einteilung nicht möglich sein, wäre eine andere Lösung möglich und zwar Tagesverkehr:

Der Montag ist nur für die Personenautos, der Dienstag nur für Geschäftsautos, der Mittwoch für Strassenbahnen, der Donnerstag für Omnibusse, der Freitag für die Feuerwehr, der Samstag für Radfahrer. — Die Sonn- und Feiertage nur für die Fussgänger. Auf diese Weise wird nie mehr ein Mensch überfahren werden.

Oder eine weitere Lösung:

Im Januar nur Personenautos, im Februar nur Geschäftsautos, im März Strassenbahnen, im April Omnibusse, im Mai Feuerwehr, im Juni Radfahrer, im Juli Fussgänger usw. 

Oder:

2022 nur Personenautos, 2023 nur Geschätsautos, 2024 Strassenbahnen, 2025 Umnibusse, 2026 Feuerwehr, 2027 Radfahrer, 2028 Fussgänger usw.

Oder:

Im 21. Jahrhundert nur Personenautos, im 22. Jahrhundert nur Geschäftsautos …

(Pfeifen! Rufe! wie undurchführbar, Unsinn etc.)

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0085Das ist Valentins Spezialität: ein Thema zu durchdenken und bis ins Absurde zu übertreiben. Praktikabel ist das natürlich nicht. Du fährst um 7 Uhr wohin, hast einen Termin, und danach musst du bis 9 Uhr warten, weil dann die Strassenbahn kommt. Und den Wagen am Nachmittag wieder holen oder am nächsten Tag. Wenn’s um 11 Uhr brennt, hat man Glück gehabt. Der Radfahrer geht zu Fuss zurück, und was ist in der zweiten Hälfte des Tages? Schön ist die Tageslösung, sie überzeugt am meisten. Sonn- und Feiertage für Fußgänger! Da denke ich an die »domeniche ecologiche« vor 20 Jahren in Rom, die »ökologischen Sonntage«, von einer linken Stadtregierung angeregt. Am Sonntag durfte kein Auto fahren. In Mailand lässt man bei Smog an geraden Tagen die Autos mit geraden Endnummern auf ihren Kennzeichen fahren, an ungeraden Tagen die mit ungeraden Endnummern. — Rechts sehen wir ein Dreirad aus dem Besitz von Karl Valentin, fotografiert im Literaturarchiv Marbach.  Von 12—1 Uhr Radfahrer!

 

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