Pilger

Pilger gibt es kaum mehr. Der Weg zu Fuß oder mit dem Rad nach Santiago de Compostela ist zu einer ausgedehnten Fitnessübung geworden. Und statt zu fasten hält man Diät, um ein paar Pfunde loszuwerden und einem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen. Freuen wir uns, dass der Griff der Religionen auf unser Leben nachgelassen hat! Noch zehn Tage christliche Fastenzeit, und seit 2. April fasten die Moslems bei ihrem Ramadan. 

Die Strapazen beim Pilgern sollten den Menschen reinigen; er möge seinen Körper kasteien. damit der Geist sich besser den Ewigen öffnen könne. Auch das Fasten sollte den Körper zurückdrängen: Verzicht auf Essen als Buße. Es ist indessen fraglich, ob die durch die Religionen auferlegte Disziplin irgendjemanden gebessert hat. Der Versuch, jemanden gewaltsam auf den geistlichen Weg zu bringen, muss scheitern. Dennoch ist unser Leben eine Pilgerreise, und manchmal wird er zum Fstentrip. Joseph von Eichendorff hat in dem Gedicht Der Pilger die conditio humana zusammengefasst:

088Man setzt uns auf die Schwelle,
Wir wissen nicht, woher?
Da glüht der Morgen helle,
Hinaus verlangt uns sehr.
Der Erde Klang und Bilder,
Tiefblaue Frühlingslust,
Verlockend wild und wilder,
Bewegen da die Brust.
Bald wird es rings so schwüle,
Die Welt eratmet kaum,
012Berg‘, Schloss und Wälder kühle
Stehn lautlos wie im Traum,
Und ein geheimes Grausen
Beschleichet unsern Sinn:
Wir sehnen uns nach Hause
Und wissen nicht, wohin?

Schön ist dieses Fragezeichen am Schluss — und auch das nach der zweiten Zeile: also nach woher und wohin. Beides wissen wir nicht, leben aber gemütlich trotz dieses Unwissens. Werner Bergengruen (1892-1964) hat sein Römisches Erinnerungsbuch (1957) mit den Sätzen beendet:

Deutlicher als an jdem anderen Ort spürst du in Rom, dass etwas vom Pilger in uns allen steckt. Möchtest du auch spüren, dass jedem Pilger die Heimkehr verheißen ist.

Viele Zeugen einer Todeserfahrung haben berichtet, sie hätten das starke Gefühl gehabt, angekommen sein zu Hause; da gehörten sie hin, wenn die Seele zuückkehrt (in die Überseele) und das Gelebte überdenkt. Eine Heilige wollte den Astralreisenden Jürgen Ziewe zu ihrer Heimat führen; es war aber ein Slum, und sie sagte: »Daheim bin ich da, wo ich gebraucht werde.« Vielleicht wird die konkrete Heimat, in der wir aufgewachsen sind, DSCN2106überschätzt. Doch an einen Ort wollen wir leben, wo wir geschätzt und geliebt werden und uns wohl fühlen; ich versuche ja mit vielen anderen, für alte Menschen ein Pflegeheim zu ihrem Ersatz-Heim zu machen.

Wir wollen erstmal weg (Hinaus verlangt uns sehr) und Erfahrungen machen, darum geht es. Ich freue mich jedenfalls, bald wieder mein Rad aufzupacken und loszufahren, den Ort hinter mir zu lassen, unterwegs irgendwohin, wo man nur auf kurz Heimat findet (einen Abend lang) — und wo man vielleicht auch gebraucht wird. Der Weg ist das Ziel; wie oft wurde das zitiert und wie richtig ist es!

Das Herz muss dabeisein. Nur die Anforderungen zu erfüllen, ist schwach und kann nicht befriedigen. Der Prophet Jesaias rief darum schon vor langer, langer Zeit (er wirkte von 730 bis 705 vor Christus) den Heuchlern zu (58,1-9):

Seht, am Tage eures Fastens tut ihr, was euch gelüstet, und bedränget alle eure Schuldner. Seht, bei Streitigkeiten und Zänkereien fastet ihr und schlaget zu mit roher Faust. Fastet nicht so weiter wie bisher, dass man euer Lärmen in der Höhe vernehmen kann. (…) Ist nicht vielmehr das ein Fasten, wie Ich es haben will: Löse auf gottlose Fesseln, löse drückende Bande; gib frei die Unterdrückten, zerbrich jenes Joch. Brich dem Hungrigen dein Brot und führe Arme und Obdachlose in dein Haus. Siehst du einen Nackten, so bekleide ihn und verachte nicht dein eigen Fleisch. Dann wird dein Licht dem Morgen gleich hervorbrechen, und deine Heilung rasch erfolgen. Deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird dich begleiten.     

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