Flugverkehr (149): Südkurier

Wo ist Jacques Bernis? Wo kann er sein? Der Sergeant, in der Wüste stationiert, ratlos, beschreibt mit der Hand einen Halbkreis über den Horizont. Bernis‘ Postflugzeug, gestartet vor 3 Tagen in Port-Étienne in Mauretanien, ist verschollen. Der Erzähler in Antoine de Saint-Éxupérys Buch Südkurier, der uns Bernis‘ Existenz nahegebracht hat, ist genauso ratlos.

indexcourrier Südkurier war 1928 Saint-Éxupérys zweiter Roman, und aus der Unterhaltung mit dem einsamen Sergeanten hören wir schon das Thema von Der kleine Prinz heraus, der Anfang 1943 erschien, eineinhalb Jahre vor dem Absturz des Piloten vor Marseille.

Einschub: Das Kinderbuch verkaufte sich 80 Millionen Mal, das Geld ging an die Mutter und die Schwestern des Autors, die seiner Witwe Consuela laut Wikipedia nichts abgeben wollten und dadurch (vermute ich) den Willen des Verstorbenen missachteten. Warum sind Erben nur so geldgeil und gnadenlos?

Saint-Éxupéry war 1927 und 1928, insgesamt eineinhalb Jahre, Flughafenchef in Cap Juby in Südmarokko, wo nur manchmal eine Maschine landete. Dort, in dieser Einsamkeit, schrieb er den Südkurier. Ich habe davon eine schöne Gallimard-Ausgabe aus meinem Geburtsjahr 1957, und nach der neuerlichen Lektüre würde ich sagen, dass das Buch den Existentialismus vorwegnimmt, der erst nach dem Krieg — nach 1950 — ausgerufen wurde, bekanntgemacht durch die Werke von Albert Camus und Jean-Paul Sartre.

Der kleine Pilot und die große Maschine

Der kleine Pilot und die große Maschine

Zweiter Einschub: Vor fast 40 Jahren musste ich ein Praktikum bei einer Tageszeitung absolvieren, und ich wählte die Zeitung Südkurier, dessen Zentrale in Konstanz am Bodensee liegt. Also diente ich 4 Monate in Donaueschingen und Villingen. Ich weiß nicht, ob der Name durch Saint-Éxupéry angeregt wurde; möglich wäre es.

OIPdesertSüdkurier, Inhalt: Jacques Bernis ist Flieger in den 1920-er Jahren und soll die Post aus Europa nach Afrika bringen: von Paris über Spanien und Marokko bis nach Dakar in Senegal. Die Wüste ist endlos, das Wetter unberechenbar, der Motor der Maschine kann immer versagen, jeder Flug der letzte sein. Das Leben wird kostbar. Bernis kennt übrigens Nietzsche. Er steigt auf, und unter ihm die Weiten der Wüste und der Rand des blauen Meeres, über ihm der Himmel, und diese Freiheit macht süchtig. Warum er zurückgekehrt sei von dort oben, fragt ihn ein Freund; sicherlich wegen der Liebe …

Dann erzählt Saint-Éxupéry von Bernis‘ Liebe zu Geneviève, einer verwandten Seele. Wie der Pilot wird sie auf der Erde nicht heimisch, ist zwar verheiratet, wirkt jedoch wie ein Vogel im Käfig. Ihr Kind stirbt, und als sie sich erholt hat, will sie mit Bernis weggehen (der Mann ist auf Dienstreise), doch es regnet, die Hotels sind ausgebucht, sie wird krank … Und Jacques Bernis ahnt, dass sie einander fremd bleiben müssen, und sie kehren zurück. Beide passen nicht zueinander und können obendrein hier nicht heimisch werden; beide fragen sich immerzu, ob sie wirklich am Leben sind und woher dieses Gefühl kommt, ewig im Exil zu sein.

Bernis wenigstens hatte sein Flugzeug, und nach oben hin war alles offen. Einmal bekennt er, an sich selbst sei er nicht besonders interessiert. Dieser Flieger ist kein Nihilist, der sich an der Tragik und vermeintlichen Sinnlosigkeit des Lebens berauscht; eher ist Bernis ein neuzeitlicher Mystiker, seiner Mission verpflichtet und dem Mitmenschen.

 

 

 

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