Der Liebhaber
Der Name Martina Rellin schlug in mir eine Saite an: War sie nicht in der 18. Lehrredaktion der Münchner Journalistenschule mit mir? (Mittlerweile, 40 Jahre später, haben sie, glaube ich, die 60. Lehrredaktion.) Das Buch von 2005, das mir ein einem Regal in die Hände fiel, heißt: Ich habe einen Liebhaber. Hinein ins Vergnügen!
Das Buch wurde ein Erfolg und führte zu einer Serie, die nunmehr aus fünf Titeln besteht. Der Piper-Verlag setzte Autorin und Titel einfach so auf den Umschlag: Martin Rellin / Ich habe einen Liebhaber. Es müsste aber heißen Martina Rellin (Hg.), denn das war sie ja wohl, Herausgeberin. Zu Wort kommen viele Frauen, und Martina, nunmehr Autorin von neun Büchern, hat die Stücke gesammelt und redigiert. Der Erfolg bewies, dass authentische Zeugnisse gewünscht werden, um die eigenen Erfahrungen bewerten zu können.
Ihr jüngstes Buch heißt übrigens Klar bin ich eine Ost-Frau! — Das Liebhaber-Buch habe ich gar nicht gelesen, nur ein paar Beiträge überflogen, aber das genügt. Im Kleinen steckt das Ganze, aus einem Detail können wir alles erfahren. Darum will ich drei schöne Zitate aus dem Buch verwenden. Der Liebhaber ist ja der Begriff für den Freund der verheirateten Frau; beim Mann wäre es die Geliebte.
Ab und zu habe ich auch ein schlechtes Gewissen. Ich frage mich dann: Was tust du, was setzt du eigentlich aufs Spiel? Aber mir gibt diese Beziehung so viel. Und was ich dort bekomme, kann ich auch weitergeben. Leidenschaft, Schmetterlinge im Bauch spüren, so etwas bestätigt mich in meinem Frau-Sein. Diese Gefühle, dieses Glück, dieses Spüren aller Sinne, das alles ist in mir! Früher war ich da viel mehr von Männern abhängig, heute spüre ich genau: Ich brauche zwar unbedingt einen Mann, der mit mir meine Leidenschaft leben kann. Aber er ist trotzdem nur der Katalysator. Diese Glückserlebnisse, diesen berühmten Flow, erleben andere, wenn sie malen oder sonstwie kreativ sind. Ich erlebe das eben durch die Leidenschaft. Mir tut das gut.
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Mit Rainer habe ich immer so unglaubliche Glücksgefühle. Da will ich gar nicht, dass die Vernunft einsetzt. … Rainer ist für mich ein Seewolf, er hat einen wilden Bart und so rauhe Hände. In meinem Tagebuch habe ich mal über ihn geschrieben: Es ist, als brenne ein Amboss im Flug. Das trifft es gut. Ich frage mich immer: Wann hört dieses Gefühl auf? Ich habe noch nie so geliebt. Ich weiß aber auch, ich kann auf Dauer nicht so leben, wie ich es jetzt tue, mit zwei Männern.
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Irgendwann saß ich da und habe nachgedacht: Dein Sex-Leben ist unerfüllt, du möchtest mit einem Partner auch Abenteuer erleben, und du willst auch wieder mit jemandem reden. Ich habe immer gesagt: Meine Ehe ist ein gut funktionierender Kleinbetrieb. Wir sind beide beruflich ziemlich engagiert, das Haus ist gebaut, die Kinder sind Teenager, und die letzten Jahre waren sehr ausgefüllt. Sie waren so ausgefüllt, dass mein Mann Clemens und ich gar nicht gemerkt haben, wie sehr wir uns auseinandergelebt haben.
Wir haben nichts mehr miteinander unternommen, er hatte seinen Garten und das Fernsehen, und sexuell hatten wir uns auch voneinander entfernt. Er hat diesen Abstand bis heute nicht richtig bemerkt, er leidet wohl auch nicht darunter. Aber ich habe gelitten.
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Wie schön, dass es das noch gibt: Glücksgefühle und Leidenschaft. Und Liebe.
Da dachte ich daran, wie diese pfiffige Frau, die in Tropea unsere Wohnung verwaltete, sagte: »Gli uomini sono un po` … limitati.« Die Männer seien etwas eingeschränkt. — Sie mögen große Eroberer sein, neigen aber auch zur Bequemlichkeit. Clemens würde aus allen Wolken fallen, wenn er vom Verhältnis seiner Frau erführe. Männer rufen dann aus: »Aber sie hat doch alles!« Was will das Weib? fragte ein Philosoph des 19. Jahrhunderts. Materielle Annehmlichkeiten sind nicht alles, sind sogar zweitrangig. Die Frau vertritt die echten Werte.
Leider wurde das Einen-Liebhaber-Haben immer als Ehebruch verteufelt. Die Religionen und die großen Kirchen haben so etwas stets gegeißelt. Sie wollten die soziale Ordnung aufrechterhalten und scheuten nicht davor zurück, die Seelen unter Druck zu setzen und Höllenstrafen zu prophezeien. Früher wurden Ehebrecherinnen gesteinigt; der Mann kam ungeschoren davon. Und vergessen wir nicht, dass in zwei Dritteln der heutigen Welt ein Liebhaber immer noch ein Unding ist, ein Sakrileg. Denn die Männer, so lächerlich sie auch sein mögen, stehen in Lateinamerika, Südostasien oder Afrika auf einem Podest. Wir hier genießen das Privileg, darüber frei reden zu können. Die Frauen auf der Welt haben noch einen weiten Weg zur Freiheit vor sich.