Über Renata
Ich dachte an ein Bild mit Ernest Hemingway am Pool mit der jungen venezianischen Adeligen, in die er verliebt war, und dann suchte ich nach ihrem Namen. Renata aus dem Buch, das ich vor wenigen Tagen vorstellte, heißt ja wörtlich »die Wiedergeborene« (re-nata), und Hemingway bezog den Namen vielleicht auf sich: Das Mädchen schenkte ihm Energie, er fühlte sich wie neugeboren.
Viele kannten in den Jahren von 1949 bis 1955 diese Geschichte, und die junge Frau hieß Adriana Ivancich. Nach ihrem Namen suchte ich, und ich fand eine nicht zu lange, vorzügliche Forschungsarbeit des Journalisten und Historikers Jobst C. Knigge auf Englisch, vor zwei Jahren veröffentlicht und mit Bildern.
Bei diesem Thema ist es mit Bildern schwierig. Die Fotografen leben noch, man darf ihre Arbeiten nicht einfach verwenden. Ich schrieb dem Präsidenten der Hemingway-Gesellschaft, da sie eine schöne Kollektion besitzt, aber: keine Antwort. Also keine Bilder. Bitte selber in eine Suchmaschine unter Bilder »Hemingway Ivancich« eingeben, dann habt ihr alles und sofort.
Am 11. Dezember 1948 soll der 49-jährige Hemingway in Venedig Adriana zum ersten Mal gesehen haben, und es traf ihn, wie das in solchen Fällen ist, ein sprichwörtlicher Blitz. Sie meinte später, alt habe er nicht gewirkt, und einen freundlichen Blick habe er gehabt. »Ich war so voller Leben und Enthusiasmus, dass ich dies auf ihn übertrug«, meinte sie. Hemingway sei über das Schreiben des Buchs Über den Fluß und in die Wälder krank geworden, er musste es weglegen.
Ihr sagte er: »Du hast mir die Fähigkeit zu schreiben wiedergeschenkt, und dafür werde ich dir ewig dankbar sein. So konnte ich der Heldin ein Gesicht geben.“ Vorher hatte er sie gefragt, ob er Renata nach ihr gestalten dürfe? Sie stimmte zu. Dann fragte er sie, ob sie seine Partnerin sein wolle für Gespräche, Ausflüge … »Ich werde mit dir immer die schönsten Dinge teilen, das verspreche ich dir.«
Hem ging gerne in Harry’s Bar in Venedig, und der Inhaber äußerte, die Schecks aus seinem Scheckbuch, die er unterzeichnete, hätten, gesammelt, ein nettes kleines Buch ergeben (das heute vermutlich ein Vermögen wert wäre). Sein Alkoholkonsum war enorm. Dann wieder Kuba, wo die Hemingways lebten. Mary Hemingway hielt die Dialoge zwischen Cantwell und Renata für »abgrundtief banal«, hielt sich mit Kritik jedoch zurück. »Mr Papa flirtet mit ihr«, schrieb sie in ihr Tagebuch.
Januar 1950 war das Ehepaar wieder im Hotel Gritti. Adriana sagte: »Ich begann, diesen Mann zu mögen, der so groß und stark war, dann aber süß und manchmal richtig schüchtern.« Fernanda Pivano (33), eine Schriftstellerin auch sie, war eifersüchtig und fühlte sich zurückgesetzt. Zum Skifahren in Cortina kam Adriana auch. Mary klagte: »Sie wird zur ständigen Begleiterin.«
Er schenkt ihr zum Abschied seine Schreibmaschine, sie möge ihr Glück bringen. März 1950: Paris, mit viel Love talk von seiner Seite. »Ich würde um deine Hand anhalten, wenn ich nicht wüsste, dass du ablehnen würdest.« Hemingway ist verliebt. »I will always love you in my heart and I cannot help that. … I get terribly lonely from you, sometimes it is unbearable.« Adriana will ihn manchmal beschützen, vor sich selbst. Manchmal fühle sie sich als die Ältere, schrieb sie später.
Mutter und Tochter Ivancich auf Kuba
Wie Jobst Knigge so richtig schreibt, betrog Hemingway seine Frau mit dem Buch, und dann widmete er es ihr auch noch. Ende Oktober 1950 wurde es richtig hart. Adriana und ihre Mutter Dora (typisch italienisch, die Mutter ist dabei) kommen nach Kuba und bleiben drei lange Monate. Die junge Venezianerin lebt im weißen Turm (den kenne ich auch, im Garten; damals, 2002, waren wir dort, aber wir durften nur durch die Fenstern in Hemingways früheres Haus schauen).
Adriana hielt das Buch leider auch für misslungen: für langweilig. (Wie konnte sie nur? ) Genau wusste man nie, ob sie auch in ihn verliebt war oder ob sie nur die Verehrung des berühmten Mannes genoss. Hem verwöhnte sie und trank eine Menge, und dann kam es manchmal zu gewalttätigen Szenen, und eines Morgens um vier Uhr bedrohten er und seine Frau sich gegenseitig mit Feuerwaffen. Endlich reisten die beiden Italienerinnen Anfang Februar 1951 ab, was Hem in eine Krise stürzte.
Danach schrieben sie einander Briefe. 69 von Hemingway sind erhalten und liegen in der Bücherei der Universität Austin in Texas. Wie sein Held Richard Cantwell schrieb er andauernd, dass er Adriana liebe, mehr als die Jungfrau Maria, mehr als das Meer … Die Zeitschrift Life erzählte ihre Geschichte im September 1952 und verkaufte damit mehr als fünf Millionen Exemplare. Dann kam der Flugzeugabsturz in Afrika. Als Hemingway und Mary am 23. März 1954 wieder nach Venedig kamen, war er immer noch angeschlagen und sehr gealtert. Alle waren schockiert. Ein letztes Treffen mit Adriana in Nervi bei Genua, dann noch ein paar Briefe.
Nach seinem Tod (1961) heiratete Adriana Ivancich einen Griechen, danach einen deutschen Adeligen mit dem Namen Rudolf von Rex (vielleicht ein Nachfahre des gleichnamigen Münchner Malers, 1817-1892). 1965 kam unser schwieriges Buch Über den Fluß und in die Wälder endlich in Italien heraus, und Adriana outete sich: »Ich bin Renata.«
1980 schrieb sie das Buch La Torre bianca (Der weiße Turm), anspielend auf den Turm auf Kuba, in dem sie gelebt hatte. Das Buch drehte sich nur um ihr Verhältnis zu Hemingway, und Kritiker hielten es für narzisstisch. Adriana hat sich dann auch das Leben genommen, am 24. März 1983, also ziemlich genau vor 30 Jahren. − Das war nun wieder ein trauriger Beitrag, aber heute ist Karfreitag.