Der dritte Polizist (2)

Bei der Lektüre von Der dritte Polizist wundert sich der normale Leser. Das wirkt zuweilen völlig abgedreht, sinnfrei, unzusammenhängend und wie improvisiert, als schriebe da jemand hin, was ihm in den Sinn kommt. Diese Einfälle sind dabei köstlich, man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Dies als Vorinformation und -warnung. 

DSCN2046Mit einem Hilfspolizisten namens Gilhaney (ist er der dritte Polizist neben Sergeant Pluck und Wachtmeister MacCruiskeen?) unternimmt der Erzähler eine Exkursion. Gilhaney ist ein begeisterter Theoretiker und erkundigt sich beim Sergeanten:

Wie ist Ihre Einstellung gegenüber dem hohen Rennsattel?

Darauf weiß der Angesprochene nichts zu sagen; dafür weiß Gilhaney um so mehr und doziert über den Ursprung des Sattels, der der »Vater des niedrigen Rennlenkers« gewesen sei. Gilhaney holt ein Rad aus dem Dickicht und fragt Sergeant Pluck nun, was seine ehrliche Meinung zur Holzfelge sei? Dann spricht er über die Atomik und irgendwelche Messungen und erklärt:

DSCN1212Das Brutto- und Nettoresultat davon ist, dass die Persönlichkeit von Menschen, die die meiste Zeit ihres natürlichen Lebens damit verbringen, die steinigen Feldwege mit eisernen Fahrrädern zu befahren, sich mit der Persönlichkeit ihrer Fahrräder vermischt —ein Resultat des wechselseitigen Austauschs von Atomen —, und Sie würden sich über die hohe Anzahl von Leuten in dieser Gegend wundern, die halb Mensch und halb Fahrrad sind. 

Das muss man erst verdauen. Er legt noch nach:

»Das Benehmen eines Fahrrades mit hohem Humanitäts-Anteil«, sagte er, »ist sehr listig und überaus bemerkenswert. Man sieht nie, wie sie sich aus eigener Kraft bewegen, aber man trifft sie unerwartet an kaum erklärlichen Orten.

In ihrer Nähe verschwinde Essen, und Reste seien an Vorderrädern gefunden worden, deutet Gilhaney an. Die fünf Regeln der Weisheit verrät Sergeant Pluck:

Immer alle Fragen stellen, die gestellt werden müssen, und nie welche beantworten. Alles Gehörte zum eigenen Vorteil nutzen. Immer Reparaturwerkzeug dabeihaben. So oft wie möglich nach links abbiegen. Nie die vordere Handbremse zuerst betätigen.

Nach einem anderen Ausflug machen sich MacCruiskeen, der monumentale Pluck und der Erzähler auf den Rückweg zum Revier.

MacCruiskeen war zurückgeblieben, aber bald erschien er schweigend vor uns. Bewegungslos saß er auf seinem lautlosen Fahrrad. Er sagte nichts, als er uns überholte und ohne zu atmen oder ein Glied zu rühren, rollte er von uns fort, den sanften Hügel hinunter, bis ihn eine Kurve still empfing.

Das ist schön: die Kurve, die ihn »still empfing«. Der Polizist kann aber auch anders:

platterWährend er sich näherte, konnten wir sehen, dass er in großer Eile war und dass er mit dem Fahrrad reiste. Er lag nahezu lang hingestreckt auf seinem Gefährt, wobei er die Kehrseite ein wenig höher hielt als seinen Kopf, um so eine Schneise durch den Wind zu brechen, und kein menschliches Auge konnte schnell genug sein, um die Geschwindigkeit seiner fliegenden Beine zu erfassen und wie sie das Fahrrad in ungezügelter Weise vorandroschen.

Dann springt er ab und wirbelt das Fahrrad herum und kommt auf der Stange zu sitzen: Das ist Artistik! Nun aber widmen wir uns der Erotik. Der Sergeant hat sein Lieblingsfahrrad in Einzelhaft genommen, weil er es in Sicherheit wissen will. Dann aber lässt er den Schlüssel liegen, und unser Mann kann sich das Rad betrachten:

2011_(4)Lite_bildeDas Fahrrad selbst schien eine gewisse eigenartige Qualität der Form oder Persönlichkeit zu haben … Es war außerordentlich gut gepflegt, trug ein angenehmes Funkeln auf dem dunkelgrünen Gestänge zur Schau und hatte ein Ölbad sowie ein sauberes Glitzern auf rostlosen Speichen und Rahmenwerk aufzuweisen. … Trotz der stämmigen Fahrradstange schien es unsagbar weiblich und wählerisch, es posierte eher wie ein Mannequin, als dass es sich müßig gegen die Wand lehnte wie ein Faulenzer, und mit unanfechtbarer Präzision ruhte es auf seinen zierlichen Reifen … Ich strich mit unbeabsichtigter Zärtlichkeit — ja, sinnlich — über den Sattel.

Und er darf es bewegen, darf sich mit ihm auf die Straße wagen!

moen20101Wie kann ich die Vollkommenheit der Behaglichkeit auf diesem Fahrrad übermitteln, die Vollständigkeit meiner Verbindung mit ihr, die süßen Reaktionen, die sie mit jeder Partikel ihres Leibes zeigte? Ich hatte das Gefühl, sie schon seit vielen Jahren zu kennen, das Gefühl, dass sie mich kennt, dass wir einander gründlich verstanden. Sie bewegte sich unter mir mit agilem Verständnis, sie legte eine flinke, luftige Gangart an den Tag, sie fand sanfte Wege durch steinige Pisten, sie wand sich und beugte sich, um meinem wechselnden Fahrverhalten zu genügen …

Wo hat man je solch eine Liebeserklärung an ein Fahrrad gelesen? O’Nolan (oder O’Brien) war ein aficionado, ein Liebhaber, und sein Erzähler fährt mit ihr, seiner neuen Liebe, zu seinem letzten Auftritt: dem Showdown mit John Divney. Bald danach trotten die beiden zu einem seltsamen Polizeirevier, wo sie ein dicker Sergeant mit einer Frage empfängt (womit der Roman endet):

Geht’s um ein Fahrrad?

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