Past Lives
Der koreanische Film Past Lives von Celine Song ist viel gelobt worden und wohl schon ein halbes Jahr in den Kinos. Ich habe ihn vor ein paar Tagen in Müllheim gesehen, und da die Eindrücke noch frisch sind, schreibe ich gleich darüber. Es wird in dem Film ja die Reinkarnation erwähnt; das ist manipogo-Thema.
Wieviel Prozent der Deutschen glauben an Reinkarnation? Nach einer neueren Umfrage rund 20 Prozent. Eine repräsentative Bertelsmann-Studie von 2009 ermittelte, dass zwei Drittel der Deutschen an ein Leben nach dem Tod glauben. Liest man den dazugehörigen Artikel, dann greift man sich an den Kopf. Ein Drittel glaubte fest oder ziemlich ans Weiterleben, ein Drittel mittel oder wenig, ein Drittel gar nicht. Was soll man mit solchen Aussagen anfangen? Glaubst du oder glaubst du nicht? Wenig oder mittel glauben, was ist das? Glaubst du an Gott? Entscheide dich! Halbe Sachen gibt es nicht.
Der koreanische Begriff In Yun taucht oft in dem Film Past Lives auf. Man kann dazu einen Vortrag von Reverend Sun Myung Moon aus dem Jahr 1990 lesen, der In Yun und Begegnungen heißt, aber auch nicht viel Klarheit bringt. Der Reverend, der 1920 geboren wurde und 2012 starb, hat übrigens 1954 die Vereinigungskirche gegründet, die sich zu einem Wirtschaftsimperium auswuchs. Moon hielt sich für einen Messias in der Nachfolge Jesu Christi, seine Kirche folgt aber sonst christlichen Prinzipien. Der Reverend sagte in dem Vortrag:
Wenn sich zum Beispiel zwei Menschen auf einem überfüllten Platz begegnen und sich ihre Ärmel berühren, heißt es, dies sei durch verborgene Ursachen bewirkt worden, die viele Jahren zuvor ihren Ursprung hatten. Das ist In Yun.
Genau diesen Satz sagt Nora zu Beginn des Films, und Nora nennt sich Nora Moon. Ist das eine Anspielung auf die Moonsche Kirche? Es wäre ja nichts Schlimmes daran. Sun Myung Moon glaubte an Vorherbestimmung und dass gewisse Ereignisse in tausend Jahren vorbereitet wurden, und er ging in seinem Vortrag so weit zu sagen: »Stellt euch vor, was alles in der Vergangenheit geschehen musste, dass ihr heute vor mir sitzen könnt!« So kann man jedes Alltagsdetail unendlich aufladen mit Bedeutung. (Ich glaube nicht, dass der Reverend es ironisch gemeint hat.) Welten mussten untergehen und Äonen vergehen, damit ich hier an meinem Computer sitzen und für euch manipogo schreiben kann, ist das nicht unglaublich?
Sicher gibt es Ereignisse, die geschehen müssen. Morgen geben wir einem Schweizer das Wort, der bei einer zweiten Nahtod-Erfahrung über sein Dorf flog und Häuser sah, die erst 20 bis 30 Jahre später gebaut werden sollten. Auch was die Wesen drüben ihm prophezeiten, trat ein. Dennoch besitzen wir freien Willen, und die Zukunft ist veränderbar. Wir neigen immer zu Totalerklärungen; doch beides kann Seite an Seite existieren: der freie Wille und ein Sich-Anbahnen von Begebenheiten, die ihren Weg gehen, wenn wir uns nicht in diesen stellen.
Nora und Hae-sung mögen in früheren Leben zusammengewesen sein und könnten auch künftig ein paar Leben gemeinsam verbringen. Doch das ist Theorie und auch die metaphysische Überhöhung eines Gefühls von Zuneigung. Anziehung zwischen Menschen gibt es, auch eine unerklärliche Anziehung, die in Asien häufig mit dem Konzept früherer Leben in Verbindung gebracht wird. Auch bei uns sind zwei Menschen »füreinander geschaffen«. Jede Kultur hat ihre eigene Strategie, Liebesbeziehungen mit einer göttlichen Aura zu umgeben.
Ich persönlich glaube an Reinkarnation, ohne sagen zu können, mit wem ich womöglich in einem früheren Leben zusammen war. Bei Rückführungen erinnern sich Menschen, und die Liebespartner von heute waren manchmal früher Geschwister oder Mutter und Sohn oder auf eine andere Weise »verbandelt«. Zuweilen inkarnieren sich ganze Gruppen neu, ohne das zu wissen. Diese Behauptungen sind theoretisch belegt, finde ich, und durchaus haltbar. Wenn die Liebesbeziehung dann jedoch in eine Krise taucht, wünscht man sich vermutlich, dass die Sache mit den früheren Leben ein großer Irrtum ist.