Das Leben ein Traum

200 Jahre vor der Uraufführung von Der Traum ein Leben in Wien kam zum ersten Mal das Stück Das Leben ist ein Traum von Pedro Calderón de la Barca auf die Bühne: in Madrid 1635. Man hat es als ein philosophisches Theaterstück gelobt, das natürlich auf dem Boden der barocken Weltauffassung steht. Auch nach 400 Jahren ist es noch aktuell; es geht um den Konflikt zwischen freiem Willen und Schicksal. 

01438rRené Descartes, der Körper und Geist streng auseinanderhielt, lebte von 1596 bis 1650, war also ein Zeitgenosse Calderóns (1600-1681). Descartes argumentierte, im Traum wisse man nicht, dass man träume, und wenn man erwacht sei, wisse man eigentlich auch nicht, ob man noch träume. Du kannst nicht wissen, ob du nicht vielleicht immer träumst; darum zweifle an deiner Wahrnehmung: Sie zeigt dir nicht die wahre Welt.

Im Buddhismus heißt es, wir könnten die Welt nicht verstehen, weil wir das Ich als Zentrum unserer Existenz sähen; wir müssten die Leere erkennen (das Nichtvorhandensein des Unwahren) und das Licht (das Vorhandensein des Wirklichen). Man könnte sagen: Wirklicher und wahrer als unser Leben ist die Traumwelt, denn sie wird von unserer Psyche/Seele gestaltet, die ihren Körper überlebt und ihre »Träume« in die Jenseitswelt mitnimmt.

Im Barock war das Traum-Argument verbreitet. Nach der lebenslustigen Renaissance machte sich der Gedanke der Vergänglichkeit breit: »Das ist alles Windhauch und Luftgespinst«, um es mit Kohelet aus dem Alten Testament zu sagen. Der schlesische Dichter Andreas Gryphius (1618-1666) schreibt in einem Gedicht:

Was bilden wir uns ein! Was wündschen wir zu haben?
Itzt sind wir hoch und groß / und morgen schon vergraben:
Itzt Blumen morgen Kot / wir sind ein Wind / ein Schaum /
Ein Nebel / eine Bach / ein Reiff / ein Tau‘ ein Schaten,
Itzt was und morgen nichts / und was sind unsre Thaten?
Als ein mit herber Angst durchaus vermischter Traum.

OIProsauraDem König Basilius von Polen wurde von Sterndeutern geweissagt, sein Sohn Segismundo werde sich als ein Tyrann entpuppen. Der König glaubt daran und lässt ihn in einen Turm sperren, wo ihn die Dame Rosaura und ihr Diener Clarin besuchen. Ihn zu treffen, darauf steht die Todesstrafe! Nun führt Calderón tausend Verwicklungen ein, bis Basilius an dem Urteil der Sterndeuter zweifelt und Segismundo doch als Herrscher einsetzt. Der fängt gleich zu toben an, droht Clotaldo, Basilios Getreuer, mit dem Tod, wirft einen Diener, der ihm nicht passt, vom Balkon und will Rosaura Gewalt antun. Er kann gebändigt und wieder in den Turm gesperrt werden.

Basilios Getreuer, Clotaldo weckt ihn gleichmütig nach einer langen Nacht, und Segismundo ruft aus: »Gott im Himmel, was hab ich nur für Zeugs geträumt!«

Es gibt übrigens Therapeuten (William Brugh Joy, Arnold Mindell), die vorschlugen, man solle sein Leben (oder einen Tag daraus) erzählen, als wär’s ein Traum und ihn danach als einen solchen interpretieren. Bedenkenswert!

Dann hält Segismundo einen Monolog darüber, dass alle träumen. (Übersetzt von mir.)

Ich träume, hier zu sein im alten Kleid,
im Turm, in meiner Haft,
und träumte, dass ich schmeichelhaft
und mächtig war zu andrer Zeit. 

DSCN2950Was ist das Leben? Wahnsinn und Leid.
Was ist das Leben? Ein Illusion,
ein Schatten und nichts als eine Fiktion.
Das größte Gut, man sieht es kaum;
da alles Leben ist ein Traum,
und Träume, die sind Träume, welcher Hohn!

Der geläuterte Segismundo wird erneut König, und diesmal ist er besonnen und bezähmt sich. Er will, sagt er am Schluss, seine Zeit gut nutzen.

Goethe brachte als Regisseur das Stück 1812 in Weimar auf die Bühne des Hoftheaters. Gegen Ende des Jahrhunderts erschien die Traumdeutung von Sigmund Freud (da haben wir wieder einen »Segismundo«!), August Strindberg schrieb sein Traumstück, Arthur Schnitzler die Traumnovelle, Schumann die Klavierkomposition Traumes Wirren. Ein schönes Gedicht mit unserem Thema erschien bereits 1865, als Epilog zu Alice im Wunderland von Lewis Carroll. Drei Kinder lassen sich in einem Boot Märchen erzählen.

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In einem Wunderland sie liegen,
träumend, da die Tage versiegen,
träumend, da die Sommer verfliegen. 

Ewig gleitend auf des Stromes Schaum,
vor sich hell der güld’nen Sonne Saum.
Was ist das Leben? Nur ein Traum.

 

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