Sternschnuppen
Die Welt der »modernen Kunst« treibt als eigener Planet dahin, über dem Sterne (Stars) aufgehen und wieder verlöschen. Darauf bezieht sich die Überschrift eines Artikels in der neuen Zeitschrift »Schweizer Kunst«, und darin führt uns der Multimedia-Künstler Christoph Draeger provozierende »Performances« aus den vergangenen Jahren auf.
Ich denke, es kann eine Funktion von Kunst sein, die gut geölte Maschinerie von Medien und Öffebntlichkeitsarbeit kurz aus dem Kurs zu bringen nach dem Wort von Günter Eich »Seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt«.
Das Heft, 2023 in Zürich erschienen und vom Künstlerverband visarte herausgegeben, widmet sich der Frage »Kunst und Moral«. Das klingt bedeutend, doch Christopf Draeger hat sich davon nicht stören lassen. Draeger ist 1965 geboren, studierte in der Schweiz Kunst, zog 1996 nach New York und 2011 nach Wien. In seinem Artikel »Von Shooting Stars und Sternschnuppen« zeigt uns seine Aufzählung, was alles möglich ist und war. Fantasie braucht man und einen Schuss Anarchie oder Lust an der Provokation, will man Performance-Künstler sein. Schwachsinniges und Widerliches gleichermaßen ist darunter, und wer drauf abfährt, bei dem ist ein Nerv getroffen.
Draeger schreibt:
»Trotzdem ist es ein interessantes Unterfangen, die Kunstgeschichte nach Werken zu durchforsten, die in verschiedener Weise die Frage nach der Moral aufwerfen. Eine Auswahl von Arbeiten, die mir spontan einfallen: Maurizio Cattelan, der im Interview die Biografie von Ange Leccia als seine eigene ausgab. Oder der Papst Johannes Paul II. von einem Meteoriten erschlagen in Originalgrösse als skulpturale Installation inszenierte und eine an die Wand getapte Banane an der Art Basel in Miami für 150.000 Dollar verkaufen liess. Andres Serrano, der ein in Urin getauchtes Kruzifix fotografierte.
Jake und Dinos Chapman, die online Hitler-Aquarelle erstanden, um sie als Malgrund zu verwenden, und Orgien der politischen Gewalt als hyperrealistische Miniaturmodellwelt zelebrierten. Jonathan Meese, der mit Verweis auf die Freiheit der Kunst Performances mit Naziinsignien und -sprache zelebriert. Thomas Hirschhorn, der seine Urcollagen mit Nahaufnahmen entstellter Leichen (aus darauf spezialisierten thailändischen Magazinen) komponiert … «
»Tracy Emin, die ein Zelt mit den Namen all ihrer Liebhaber bestickte (verheiratete Paare sollen sich daraufhin getrennt haben). Jeff Koons und Cicciolina. Andrea Fraser, die sich beim Sex mit einem Sammler filmte und dieser dafür das erste von fünf Exemplaren des Videos bekam. Peter Weibel, unterstützt von Valie Export, der nachts eine Benzinspur, die er über die Autobahn gelegt hatte, beim Herannahen eines Autos in Brand steckte. Oleg Kulik, der als Hund Passanten angriff und biss.
Santiago Serra, der Geflüchtete dafür bezahlte, monatelang in einer Kartonkiste zu verweilen … Oder der eine ehemalige Synagoge mit Auspuffabgasen füllte. Alexander Brener, der ein Dollar-Zeichen auf einen Malevich sprayte und dafür fünf Monate im Gefängnis sass. Christoph Büchel, der ein mit 800 Seelen gesunkenes Flüchtlingsboot als Readymade in der Biennale Venedig platzierte, und uns alle mit dem Titel in die Pflicht nimmt: ›Barca Nostra‹.
Renzo Martens, der in seinem Projekt ›Enjoy Poverty‹ afrikanischen Hochzeitsfotografen Workshops in Kriegsfotografie gibt … Marco Evaristi, der Tonnen rote Lebensmittelfarbe in einen isländischen Geysir schmiss (14 Tage Gefängnis) und den Besucherinnen einer Ausstellung die Wahl liess, ob sie den Mixer, der einem Goldfisch als Aquarium diente, betätigen wollten. Karin Sander, die im öffentlichen Raum in Reykjavik zwei riesige klimatisierte Plexiglaszylinder mit tropischen Palmen aufstellen liess. Olafur Eliasson, welcher mit einem Polarschiff einen dabei schmelzenden Eisberg aus der Arktis nach Dänemark schleppte …«
(Da ist er, Hemingways Eisberg aus Lebende Stimmen! Du musst nur warten, und ein Motiv verdoppelt sich.)
Draeger fügt noch an:
»Diesen Arbeiten ist gemein, dass sie sich in die Aufmerksamkeitsökonomie der von Guy Debord beschwörten société du spectacle einschreiben und sie befeuern. ‹Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Grad der Akkumulation, dass es zum Bild wird›, schrieb der Künstler und Philosoph.«
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Diese Weihnachtskrippe oben stand im Eingang der Kirche für St. Emidio in Ascoli Piceno. Die drei Weisen aus dem Morgenland, die Magier, sind deutlich zu sehen, einer hat ein rosa Gewand. Ist heute nicht der Tag der heiligen Drei Könige? Man kann sich fragen, warum sie dem Kind bewusstseinsverändernde Mittel mitbringen: Weihrauch, Gold und Myrrhe. (Als ich klein war, wurde mir wegen des Weihrauchs immer schlecht; Gold macht die Leute verrückt; Myrrhe sollte die Zeugungskraft steigern.)
Vermutlich sollte dies nur ein äußeres Zeichen dafür sein, dass das Kind das Bewusstsein der Menschheit verändern würde, was nur halb gelungen ist. Für einen echten Wandel zum Besseren müssen wir noch ein paar hundert Jahre warten, aber kommen wird er, der Bewusstseinswandel.