Squid Game

Bei Netflix habe ich kurz vor Weihnachten »Squid Game« gesehen, das im September 2021 herauskam und alle Rekorde brach. Die Produktion der 9-teiligen koreanischen Serie kostete 21 Millionen Dollar, und eingespielt hat sie 900 Millionen. Derzeit wird Staffel zwei gedreht, die nächsten Herbst erscheinen soll. 

Über Squid Game, das weltweit auf Interesse stieß, muss man nicht mehr viel sagen, was nicht auch bei Wikipedia stände. (Wikipedia will wieder Geld, 5 Franken soll der Schweizer spenden, und ich frage mich: Wofür brauchen die Geld, wofür brauchen sie Millionen? Ist das nicht eine ehrenamtliche, freiwillige Tätigkeit? Die Autoren haben vermutlich keine Spesen. Aber man weiß, manipogo hält nichts von Wikipedia, weil es Psi und Esoterik totschweigt und deren Protagonisten so schlecht darstellt wie möglich.)

Hwang Dong-hyuk, der 1971 geborene koreanische Autor und Regisseur, hatte die Serie schon 2009 geschrieben, doch erst 10 Jahre später sprang Netflix, das Produktionen von außerhalb der USA suchte, darauf an. Nie hatte Hwang mit einem solchen Erfolg gerechnet, und an eine zweite Staffel dachte er nicht im Traum … und hinterher gab er an, es habe ihm Leid getan, so viele sympathische Personen im fünften Spiel (dem mit den Murmeln) sterben zu lassen. Ein paar der Toten sollten in Staffel 2 wiederauferstehen.

20230930_184742

Was ist Squid Game? Man denkt an die Gladiatoren im Alten Rom, die zur Volksbelustigung gegen Löwen und einander kämpfen sollten. Ein paar Frühchristen schickte man auch in die Arena (arena heißt ja Sand) und erfreute sich daran, wie sie von wilden Tieren zerrissen wurden. Vielleicht hat man auch Wetten abgeschlossen.

Schon bei der ersten Episode von Squid Game blieb mir die Luft weg. Da werden 100 oder gar 200 Teilnehmer am Spiel (456 sind es genau) erschossen, weil sie sich beim Spiel bewegt haben. (Squid ist der Tintenfisch und gab einem besonders grausamen Spiel den Namen). Sie werden einfach erschossen, es spritzt das Blut, Körper liegen quer übereinander, und pink gekleidete Bedienstete schaffen die Leichen in Särgen fort und kremieren sie im Hochofen sofort.

20231223_164757

Mich persönlich ergreift eine verzweifelte Erinnerung, obwohl ich nicht dabei war. Doch es gibt keinen Zweifel, dass sich Hwang Dong-hjuk auch von den nationalsozialistischen Lagern beeinflussen ließ. Kam ein Gefangener beim Marsch nicht mehr mit und stürzte, wurde er sogleich erschossen. Die »Einsatzgruppen« erschossen Zehntausende, am Ende starb im Osten eine Million. Nazis waren zynisch und teuflisch und schienen das Böse zu verkörpern, das aus Freude böse ist.

In Squid Game hören wir Wiener Walzer, die das morbide Spektakel einrahmen; und in Auschwitz oder Majdanek gab es stets ein Lagerorchester, das beim Rückmarsch der Arbeitskolonne frohe Weisen spielen musste, und Höss, der Lagerchef, liebte den Walzer »Rosen aus dem Süden«. Die SS-Bewacher hatten einen Sinn für Spiele. Wenn sich einer langweilte, warf er seine Mütze weit weg und befahl einem Häftling, sie zu holen, und der wusste: Hol ich sie, gilt dies als Fluchtversuch, und er erschießt mich; hol ich sie nicht, gilt es als Befehlsverweigerung und er erschießt mich auch. Ich bin schon tot.

Die Nazis ließen Häftlinge krepieren oder richteten sie hin und schrieben dann den Angehörigen etwas von Lungenentzündung, und für die Kosten der Beerdigung müssten sie aufkommen, was auch mit Ratenzahlungen möglich sei.

Die Leichen in den Lagern wurden sogleich verbrannt, nur nicht so ruhig wie in Squid Game, weil an einem Tag Zehntausend im Gas starben. Die Öfen im Krematorium liefen heiß, der süßliche Rauch wehte über die Gegend, und wer bei Oswiecim (Auschwitz) lebte, wusste, was das bedeutet. Squid Game spielt auf einer entlegenen Insel; die Lager lagen auch immer in menschenleeren Regionen, Ostpolen, Sibirien. Die SS-Wachmannschaften waren schwarz gekleidet und allmächtig. Wenn sie Lust hatten, konnten sie jemanden erschießen.

Bei Spiel 5, als die Teilnehmer versuchen mussten, ihren Lieblingspartner zu besiegen und aus dem Feld zu werfen, was den Tod bedeutet, dachte ich an den Ausspruch einer Ärztin, die sinngemäß sagte: »Wenn du in Auschwitz überleben wolltest, durftest du nur an dich denken, immer nur an dich, sonst warst du verloren.« (Auschwitz-Birkenau war ein Todeslager; die Juden, die an der Rampe vom Lagerarzt nach links gewiesen wuden, gingen sofort ins Gas. Doch es gab auch Funktionäre und eine kleine Gruppe von Arbeits-Sklaven.)

20230930_202106

Die Lagerleiter und Bewacher, die Nazis überhaupt, waren besessene Bürokraten. Jeder Häftling bekam eine Nummer in den Unterarm eingebrannt, jeder Häftling war registriert, und manchmal ging es zum Zähl-Appell, um zu sehen, ob die Anwesenden und ihre Zahl übereinstimmten. So standen Tausende in Reihen und Gruppen im Hof, und manchmal verrschwanden die SS-Leute, um zu Mittag zu essen, und die Häftlinge standen und standen, und manchmal standen sie zehn Stunden, im kalten Winter, dünn gekleidet, mit zerfetzten Schuhen. Die Lagerleitung hielt sie nicht für Menschen.

Das alles ist geschehen, 6 Millionen starben. Squid Game ist nur eine relativ harmlose Variante der Lager der Kommunisten und Nationalsozialisten und Chinesen und Kambodschanern, in denen 50 Millionen starben. Der Sieger bei Squid Game wird einen märchenhaften Gewnn mitnehmen. Jeder Teilnehmer hat dieselbe Chance. In Spiel 5 aber muss er Schreckliches verrichten und einen Freund ausschalten; die Nazis haben auch immer dafür gesorgt, dass das Opfer mitschuldig wird, und wenn sich einer auflehnte, löschte man seine ganze Familie aus.

In der Staffel 2 möchte man nun wissen, was für eine verbrecherische Organisation dahinter steckt und ob die Polizei etwas ausrichten kann. Die Aussage von Staffel 1 war: Für Geld tut der Mensch alles. Der Autor ließ uns keine Illusionen. Der Mensch will auch leben und überleben, und dafür tut er alles. Das war die zweite Aussage.

Alles tun heißt auch, notfalls »über Leichen zu gehen«. Doch das ist nicht der ganze Mensch. Es gab Menschen, die haben sich für andere aufgeopfert, sind für andere gestorben oder haben ihr Leben riskiert, um andere zu retten. Menschen haben ihr eigenes Leben für das Weiterleben der Spezies hingegeben, Märtyrer sind für ihre Religion totgemartert worden. Das gibt uns Hoffnung. Diese Menschen haben ihr Leben gut genutzt, sie sind lieber gestorben, als weiterzuleben mit einem quälenden Gewissen. Es gab Gandhi, Martin Luther King, die heilige Teresa, Katharina von Siena, ach, so viele Gute. An ihnen richten wir uns auf.

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.