Die DDR-Indianer
Die nordamerikanischen Indianer leben in ihren Reservaten. Das Land, auf das sie nie Besitzanspruch erhoben, gehört nun anderen. Wir denken uns in die Indianer hinein: Wie absurd, dass jemand Land kaufen kann. Sie sind jedenfalls überrollt und untergepflügt worden, die Indianer. – Manchmal liest man in einem Buch etwas ganz Anderes und ist platt: Da ist sie wieder, die Geschichte, hundert Jahre später.
Für das Ende der Indianer steht ein Name: Wounded Knee. Am 15. Dezember 1890 umzingelten kurz vor Tagesanbruch Indianerpolizisten die Hütte von sitting Bull. Es kam zu einem kurzen Gefecht, und der Häuptling starb. Das siebte Regiment der Vereinigten Staaten kreiste danach 120 Männer und 230 Frauen ein und wollten sie am nächsten Tag entwaffnen. Panik trat auf, es wurde geschossen, und die Soldaten töteten 300 der 350 Indianer einschlielich Big Foot und Black Coyote, deren Häuptlinge.
Wie Dee Brown in seinem Buch Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses schrieb, wurden die Verletzten in eine Kirche gebracht. Es konnten „»jene, die bei Bewusstsein waren, die weihnachtlichen Tannenzweige sehen, die von den Dachbalken hingen. Über dem Altar über der Kanzel war ein Tuch gespannt, auf dem die Worte standen: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.«
Dazu ein Zitat aus einem deutsch-polnischen Buch über Görlitz. Journalisten einer Zeitung (Stella Pfeiffer und Elzbieta Opilowska) interviewten Zeitzeugen. Das Buch erschien 2005. Helga Menzel sagte über die deutsche Vereinigung: »›Wir waren so harmlos, dass wir gedacht haben, jeder Teil wird seines dazutun. Wir haben erwartet, dass neu beurteilt wird, was gut ist. Beide machen Abstriche für ein Deutschland, war unsere Vorstellung. Aber Abstriche haben nur wir gemacht. … Ich bin ja ins Altersübergangsgeld gekommen, aber wegen meinem Mann, der selbstständig war, haben diese 13 Jahre Einheit mir nur eines gebracht: Angst vor dem wirtschaftlichen aus. Eine ständige Angst vor dem Aus.‹ …
Und sie erinnert sich mit Schrecken an die Scharen westdeutscher Raubritter, die nach der Wende in den Osten einfielen, Gutmütigkeit und Naivität ihrer ostdeutschen Landsleute ausnützend, um sich zu bereichern. Verantwortung statt Abhängigkeit und Unfreiheit, hatte sie sich erhofft. In ihrem Mann … sei etwas zerbrochen in dieser Zeit. Übergroß sei die Enttäuschung gewesen. Statt zur Zusammenarbeit sei es zur restlosen Vernichtung der hiesigen Wirtschaft gekommen. Achtung vor dem anderen sei ein Fremdwort geworden. Feindschaft statt Freundschaft entstanden.«
Geschichte wiederholt sich. Die Wiederholung muss man nicht wörtlich nehmen, sondern im übertragenen Sinn. Da hieß es eben Go East!, da war scheinbar leeres Land, bevölkert von naiven Ureinwohnern, die in den 40 vergangenen Jahren in einer eigenen Welt gelebt hatten. Da rollte der westdeutsche Kapitalismus drüber, es ging um viel Geld, da wurde die Menschlichkeit kleinlaut. Ist gerade ein Vierteljahrhundert her.
Und tatsächlich hat man das Gefühl, der Verlust des anderen Blicks (des »Ostblocks«) hätte dazu geführt, dass alle Teufel losgelassen wurden. Das Fernsehen wurde immer dümmer, das Arbeitstempo wurde wahnwitzig erhöht, was floriert ist die Unterhaltungsindustrie, der Fußball, und überhaupt: hoher, höchster Warenausstoß. Wir im Westen haben das Andere hinausexorziert, und nun bleibt nur ein hohles Karussell, das sich mit rasender Fahrt dreht.