Gedenken an Rudi

Das ist wieder eine schöne Geschichte für manipogo: Ich musste mir ein letztes Mal das Manuskript meines Romans vornehmen, der 2014 erscheinen wird. Der Held lebt in Rom, fährt Rad und heißt Rudi, nach meinem Großvater väterlicherseits. Auf dem Tisch lag der Stammbaum der Poser-Familie, der um 1814/1816 beginnt.

Ich hatte mir einfach so den Samstag für diese Arbeit vorgenommen. Nun fiel mein Blick auf dem Stammbaum, und als Todestag meines Opas stand da: 19.10.63. Es war also exakt der Tag seines 50. Todestags.  

Ich brauchte einen Namen für meinen Helden, und damals, vor acht Jahren zirka, dachte ich spontan an meinen Großvater aus Schlesien. Er war ein netter, harmloser, gut gelaunter Mann und mir sympathischer als Max aus Landsberg, der Vater meiner Mutter, der aber auch seine Qualitäten hatte. Rudi oder Rudolf ist zwar ein altertümlicher Name, aber Rudi Völler war damals sehr aktiv und spielte sogar einige Zeit bei der AS Roma.   

Meine Vorfahren in Oberschlesien waren allesamt entweder Eisenbahner oder Gärtner. Rudis Eltern hießen Johann und Mathilde. Er stammte aus Klein-Schnellendorf, sie, eine geborene Hoffmann, aus Groß-Schnellendorf. Die beiden Orte liegen bei Oppeln. In Kattowitz kam Rudi dann zur Welt, ebenso wie seine spätere Frau Martha, im Jahr 1894.  

Links Rudi, rechts Martha

 

In der Gegend um Oppeln und überhaupt in Oberschlesien lebten seit 700 Jahren Deutsche, die ihren Dialekt sprachen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde am 20. März 1921 eine Volksabstimmung veranstaltet. 60 Prozent wollten zu Deutschland, 40 Prozent zu Polen, und nun teilte man Ostoberschlesien ab und schlug es Polen zu. Rudi und Martha, die in Kattowitz lebten, mochten das nicht und wanderten mit ihren beiden Töchtern aus.  

Sie kamen in ein Lager in Neuburg an der Donau und dann nach Lindau am Bodensee. Da bekam Rudi Arbeit bei der Reichsbahn, sie hatten eine Wohnung am See, und da wurde am 20. Januar 1927 mein Vater geboren. Rudi war Rangiermeister und dirigierte auf dem Bahnhof Lindau-Reutin Waggons hin und her. Einmal war ich auf diesem aufgelassenen Bahnhof, und mir fiel der Buchstabe R auf, der vom Reutin heruntergefallen war, aber für mich deutete er auf Rudi. Hier unten sehen wir noch das alte Bahngebäude.

 

Später wurde er nach Buchloe versetzt. Im Krieg war er, glaube ich, nicht, da er schon 41 Jahre alt war. Nach der Pensionierung lebten Rudi und Martha in Maria Thann bei Wangen, und sie besuchten oft ihre Kinder. Am Chiemsee ist er dann erkrankt und 1963 in Prien gestorben. Sein Grab habe ich schon besucht.  

Man weiß ja so wenig. Rudi arbeitete gerne draußen und fühlte sich im Büro unwohl. Manchmal lagen er und seine Frau auf dem Sofa und lasen sich gegenseitig Geschichten vor. Martha hatte die Hosen an, er war gutmütig, höchstens etwas cholerisch und fluchte manchmal auf Polnisch: perunje! Vor der Hochzeit meiner Eltern feierten sie zu viert, es gibt da ein Bild, auf dem sie 1953 um einen kahlen Tisch sitzen mit einer Bierflasche drauf. 

Irgendwo ist sogar eine Kassette davon, und jemand sagt, er solle doch ein Lied singen, und Rudi  singt mit brüchiger Stimme Aus der Jugendzeit  und dann noch ein melancholisches Lied über die Zeit, die wie ein Hobel alles wegfräst.  Eine ziemlich große Nase hatte er, die habe ich geerbt. Also Rudi, ich hoffe, es geht dir noch gut.

 

 

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