Die Befreiung des Lichts
Das System des Persers Mani (216-275), Manichäismus genannt, müsse zu den bedeutenden Religionen der Menschheit gerechnet werden, schrieb Hans Jonas in seinem Buch Gnosis, und zur manichäischen »Befreiung des Lichts« meinte er: »Diese kosmische Vision hat etwas unleugbar Großartiges.« Der Gelehrte war begeistert. Ich bin’s auch.
Die Geschichte ist kompliziert. Der gute wahre Gott wird durch den Angriff der Finsternis dazu gezwungen, den Ur-Menschen zu erschaffen, den er in den Kampf schickt. Dieser wird aber gefangen; der Schöpfer ruft dann den Lebendigen Geist (den Demiurgen) ins Leben, der den Ur-Menschen befreit und erst dann ersteht das Universum; der Mensch wird durch die Mächte der Finsternis erschaffen, und der ferne gute Gott schickt ihm einen Gesandten, der ihn retten und das Licht, das durch Dunkelheit verfinstert ist, befreien soll.
Die Erwählten, die asketisch gelebt haben, kommen ins »Paradies des Lichts«, die Bösen in die Hölle, und die anderen müssen immer wieder in die schlechte Welt zurückkehren, bis ihr Licht und ihr Geist befreit sind und sie auch ins Paradies eingehen. »Die Geschichte der Welt und der Menschheit stellt also einen kontinuierlichen Prozess der Befreiung des Lichts dar«, erläutert Hans Jonas.
Nun die kosmische Vision: Die Sonne zieht aus der Materie das Licht, zieht es an sich und befördert es ins Lichtreich weiter. Die Welt ist ja dunkel, ihr Licht nicht rein. Die»Befreiung und Trennung und Erhebung der Lichtteile« kann man durch Lobpreisungen, gute Rede und fromme Werke begünstigen. Die Lichtteile, also die Seelen der Verstorbenen, werden in den Himmelskreis des Mondes erhoben, »und der Mond hört nicht auf, dieselben aufzunehmen vom Ersten des Monats bis zur Mitte desselben, so dass er angefüllt und Vollmond wird.«
»Dann lässt er es zur Sonne gelangen bis zum Schluss des Monats und nimmt ab, wenn er von der Last erleichtert wird. Und so füllt er die Fähre und entlädt sie wieder, und die Sonne übergibt das Licht dem Licht über ihr in der Welt der Lobpreisung, so dass es in dieser Welt zu dem höchsten, reinen Lichte wandert. So zu tun, hört die Sonne nicht auf, bis von den Lichtteilen nichts in dieser Welt übrig ist außer einem geringen gebundenen Teil, welchen die Sonne und der Mond nicht auszuscheiden vermögen [den zuletzt der große Weltbrand löst].«
(Hans Jonas, Gnosis, Insel-Verlag tb, 2008, S. 276/77)