823 Prozent

In den ersten vier Monaten des Jahres sind nach Angaben der europäischen Agentur Frontex 823 Prozent mehr Emigranten per Schiff in Italien angekommen als in den ersten vier Monaten 2013. Die Zahl klingt imposant, aber viel erklärt sie nicht. Jedenfalls sind bis Ende April dieses Jahres rund 26.000 Menschen gelandet, und 25.500 von ihnen in Sizilien. Der Bürgermeister von Catania, Enzo Bianco, weiß nicht mehr weiter.

Als ich an jenem Sonntag von Erice hinunterfuhr, aufs blaue Meer zu und hinein nach Trapni, schien diese Stadt auch ganz verlassen. Vielleicht waren alle am Meer. Es gab im Zentrum eine Menge freie Parkplätze. Eine Touristin breitete ratlos ihren Stadtplan aus, ein paar Autos bewegten sich ziellos dahin, und erst dort, wo die Industriezone am Hafen anfang, endlich Leben: Ein halbes Dutzend Afrikaner tauchte auf, wanderte dahin, und man trifft sie oft (wie auf ihrem Kontinent) irgendwo zwischen zwei weit enttfernten Orten zu Fuß an.

Diese Straßen durch kleine Orte, bestehend aus einstöckigen Häuschen, die anscheinend aus Lehm gemacht sind, wirken fast afrikanisch, und dann der Campingplatz Il Biscione bei Mazara del Vallo: Er wies zwei Reihen Palmen auf, die ihre Schatten warfen. Sonst war da niemand. Doch in einer Ecke des Grundstücks hatte man ein Restaurant aufgemacht, ich saß zunächst bei einem kühlen Bier in einer Halle mit schwerer Holzdecke, die auf einer Säule ruhte, die untergehende Sonne warf ihr Licht herein, ein paar Bedienstete drückten sich herum, und es war wie damals auf meiner Farm in Afrika.

Auch danach, ein paar Tage später, kamen Impressionen. Ich fuhr bei starkem Wind auf dem Viadukt auf Agrigent zu, und es ist, als flöge man, glitte über das Tal, und der Blick fällt auf die Palmen und Kakteen unten, und ich dachte an damals, Algerien, und es hätte nur noch ein Geruch nach Fauligem, Verwesendem gefehlt, und ich hätte mich wie im Morgenland gefühlt, und der Strand (Lido) von Mazara del Vallo heißt nicht zufällig Fata Morgana.

Aber das ist Schwärmerei. Die Tausende Afrikaner,die hier stranden, erwartet eine prekäre Existenz, und sie haben vermutlich ein Vermögen an ihre Schlepper bezahlt, weil sie sich hier in Europa ein Glück erwarten. Die hochgewachsenen Schwarzen helfen dann am Campingplatz aus oder verkaufen Billigschmuck und Handtücher an den Stränden. Ich war unterwegs von Campobellon nach Sellinunte, und plötzlich stand ein afrikanisches Mädchen auf der Straße. Ihre Freundin hatte sich unter den Bäumen am Straßenrand ein Bett gebaut, auf dem sie sich ausruhte.

Zwei andere warteten weiter vorn. Wenn ein Auto kam, versuchte die eine, es aufzuhalten, dann wurde verhandelt, und der Fahrer entschied sich für eine, die er mitnahm. Hier in der Nähe gibt es ein Auffanglanger für afrikanische Neuankömmlinge, und die Mädchen verschaffen sich so einen kleinen Zuverdienst. Ja, so sieht das aus.

 

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