Wolfdietrich Schnurre

Wolfdietrich Schnurre (1920-1989) ist heute kaum mehr bekannt. Er war ein wichtiger Erzähler der Nachkriegszeit und schrieb fast 40 Jahre lang als freier Autor. In dem Band Kassiber und neue Gedichte (1979) berichtet er in einem kurzen Nachwort aus der Werkstatt.

Jemand, der schon seit 34 Jahren Gedichte schreibt (damals), weiß, was er tut. Und Schnurre kann uns in zweieinhalb Seiten den Unterschied von Prosa und Lyrik erklären. (Gedichte, dazu einen aktuellen Link) Da schreibt er:

Beschwörungen lassen sich in Geschichten, Romanen schlecht unterbringen. Befunde lassen sich nicht als Fund wiedergeben. Wahrheiten, Drohungen, Erkenntnisse brauchen die Formel, um wirken zu können. Die Formel ist aufs Bild angewiesen. Das Bild braucht die Bande, den Rahmen. Denn Umgrenzung und Inhalt bedingen einander. Das Gedicht als Gefäß; Gewürzbüchse und Kochgeschirr, Trinkglas und Eiserne Ration, Botanisiertrommel und Retorte, Reagenzglas und Fingerhut.(…)

Was will ein Gedicht. Teilnahme erwecken. Das Gedicht braucht den Partner, den Erkenner, den Deuter. Es wirbt. Es zielt. Es ist, so gesehen, der Hoffnungsträger per se. Auch, wenn es die Hoffnungslosigkeit meint. Auch, wenn es sich aus tiefster Verzweiflung erhebt. Dann erst recht.
Prosa ist monoman. Sie lässt absinken, sie trägt nicht. Denn sie hat keinen Verwandlungsanspruch. Sie findet im eigenen Gemurmel Genüge. Sie braucht den Entzauberer nicht. Sie schläft, wenn sie spricht. Sie hat sich an sich gewöhnt. Das Gedicht bleibt sich fremd. Es blickt sich um nach Antennen. Es wird auf ihm unbekannten Frequenzen gesendet. Nichts hat es so nötig, wie aufgenommen, enttarnt und verwandelt zu werden. Das Gedicht meint das Du, die Prosa meint sich.

Nun zwei Gedichte aus der Werkstatt Schnurres

Lyrik

Henker, wie schön
sind dir
in deinem Vers
gestern nachmittag
die Abendwolken geraten.

Mögest du bald
wieder dienstfrei haben,
um nun auch
über den Bambuswäldern
den Mond
aufsteigen zu lassen.

Unterwegs

Die Fährte des Luchses,
lesbar der Liebe, sie
führt durch den Windbruch.

Ich gehe dir nach.
Meine Ohrbüschel spielen.
Die rissigen Krallen
kauern im Samt.

Deiner Witterung folg ich
zum Lärchengeleucht, dem
rostenden und hinauf
die Murmeltierhänge.

Jenseits der Felsen,
im Moostal, dort
wohnst du.

Ein Kommentar zu “Wolfdietrich Schnurre”

  1. Regina

    Lieber Manfred – alles klar – hab´s kapiert!!! ciao Gina