Wolken

Wolken (nuvole) ist eine Erzählung aus dem letzten Buch des italienischen Autors Antonio Tabucchi (1943-2012), das auf Deutsch Die Zeit altert schnell heißt. Das kleine Stück über die Wolken ist meisterlich in seiner Komposition, und es ist eine rührende Geschichte.

Ich merke, dass es mir derzeit am Herzen liegt, von echter, guter Literatur zu sprechen und davon, was sie auszeichnet. Wenn man es liest, weiß man es sofort. Zuletzt kam mich vor der Abteilung Krimis in der Bücherei Rombach in Freiburg Ekel an. Manchmal blättere ich in einem Oberbayern-Krimi herum und muss über zwei Seiten lesen, wie jemand über sein Mittagessen doziert und andere Banalitäten hoch zwei. Was heute zwischen Buchdeckel gepresst wird! Das möchte man einfach in eine Ecke schleudern.

Von Antonio Tabucchi ist das Buch Erklärt Pereira bekannt geworden. Verfilmt wurde es 1995 mit Marcello Mastroianni (1924-1996) in der Hauptrolle, der im selben Jahr mit Michelangelo Antonioni (1912-2007) Jenseits der Wolken drehte, was uns wieder zu den Wolken bringt. In der 25 Seiten langen Erzählung sitzt ein Mann, etwa 45 Jahre alt, am Meer, und nebenan sitzt die 12-jährige Isabella. Der Anfang: »Du sitzt den ganzen Tag im Schatten, fragte das Mädchen, gehst du nicht gern ins Wasser?« Der Mann macht ein Zeichen mit der Hand, das man nicht so richtig deuten kann.

Schon die Beschäftigung mit den Einsendungen zum Wettbewerb auf futura99, wo ich Rolf etwas zur Seite stand, war interessant. Man fragt sich plötzlich: Was ist Literatur? Was erwarte ich? Was ist gut, was ist schlecht? Und bei Tabucchi fragt man sich: Warum ist das so gut? Wie macht er das? Was ist das Geheimnis guter Literatur?

Ich kann das hier auch nicht lüften. Weil ich es auch nicht weiß. Aber anhand der Wolken begreift man etwas. Da ist der Mann, der im Schatten sitzt und hin und wieder eine Tablette schluckt, und da ist das Schulmädchen, das ihn ausfragt. Es ist so gut getroffen, der Jargon der kleinen Isabella, der Dialog ist leichthändig und innig geschrieben. Man will nun einfach wissen: Was ist das für ein Mann? Das treibt einen an. Was ist sein Geheimnis? Man braucht nicht unbedingt einen Krimi, damit die eigene Neugier entfacht wird. Es ist normal, wissen zu wollen.

Auch dieser Dialog ist irgendwie profan, aber er ist nicht so doof wie Krimi-Dialoge. Das Gespräch kommt voran, die beiden fassen Vertrauen zueinander. Anscheinend sind sie in Kroatien, wo der Mann eine UN-Friedenstruppe befehligte und mit angereichertem Uran in Berührung kam. Er ist krank. Da ist Isabella, die etwas über ihn erfahren möchte – und da ist jemand, der von seinem Leben in den Abgrund geführt wurde und der in ein normales Leben zurückkehren möchte und durch das Mädchen fast wieder etwas wie Leichtigkeit verspürt.

Sie betreiben Nefomanzia oder Nefelomanzia, wie das im Italienischen heißt: Divination mittels Wolken. Wem oder was gleicht eine Wolke? Nephia hieß die Komödie Die Wolken des Dichters Aristophanes (gestorben 444 vor Christus). Das sei eine anstrengende Sache, sagt der Mann, er müsse jetzt ein wenig schlafen. Ob er deswegen, wegen der Nefelomanzia seine Pillen nehmen müsse, fragt Isabella. Das, erwidert er, werde er ihr morgen verraten.

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