Flugverkehr (30): der Albatros

Die Geschichte mit der Eule geschah ja lange nachdem Jung gestorben war. Seine Freundschaft zu Laurens van der Post dauerte 15 Jahre und war sehr intensiv. Und so musste es auch paranormale Vorkommnisse im Sommer 1961 gegeben haben, bei Carl Gustav Jungs Tod. Daran zweifele ich nicht, und Van der Post bestätigte es.

Beim letzten Treffen wenige Wochen davor hatte sich der alte Gelehrte auf seinen Stock gestützt, gewinkt und in seinem Schülerenglisch gesagt: »I’ll be seeing you.« Später, schon länger ohne Nachrichten von Jung, lag Van der Post in der Kabine eines Schiffes im Halbschlaf. Er sah sich plötzlich in einem Tal und hatte das Gefühl bevorstehenden Unheils, da sich überall auf den Graten Schneewächten aufgetürmt hatten, die jederzeit als Lawinen auf ihn zurollen könnten.

Da erschien auf einem schwach beleuchteten Matterhorn-Gipfel Jung, auf seinen Stock gestützt, wie es wenige Wochen zuvor gewesen war, und verabschiedete sich: »I’ll be seeing you.« Dann verschwand er hinter dem Berg. Van der Post schlief die ganze Nacht durch.

»Ich wachte am nächsten Morgen auf, als die Sonne gerade aufging und schob die Vorhänge von dem Bullauge meiner Kabine beiseite. Ich sah einen großen weißen Albatros vorbeigleiten, und die Sonne glühte auf seinen Schwingen. Als er vorüberschwebte, dreht er seinen Kopf und blickte mich direkt an. Ich hatte diese Reise zahllose Male zuvor gemacht, aber so etwas war mir noch nie passiert, und ich hatte das Gefühl, Augenzeuge eines unerhörten Rituals geworden zu sein.« Natürlich liest er gleich beim Frühstück in den Funkdepeschen von Jungs Tod am Nachmittag zuvor.

Carl Gustav Jung selber stand dem Leben nach dem Tod eher skeptisch gegenüber, doch ein Erlebnis zweier guter enger Freunde überzeugte ihn. William James, der amerikanische Philosoph und Psychologe, und sein Freund und Kollege James H. Hyslop hatten sich wechselseitig versprochen, sich nach ihrem Tod bei dem jeweils anderen melden zu wollen. James starb zuerst, doch dann geschah einige Jahre nichts.

Eines Tages bekam Hyslop einen Brief aus Irland. Ein Ehepaar hatte bei einer Séance, beim Experimentieren mit dem Gläserrücken, Botschaften von einem gewissen William James für James Hyslop bekommen, und er hätte keine Ruhe gegeben, bis sie Hyslops Adresse recherchiert hätten. Die Botschaft hieß: »Erinnert er sich an den roten Schlafanzug?« Hyslop hielt das für banal und erinnerte sich nicht.

Doch in den nächsten Tagen meldete sich eine Erinnerung: William James und er hatten Europa besucht und waren in Paris eingetroffen, Tage vor ihrem Gepäck. Sie brauchten Schlafanzüge, Hyslop kaufte grellrote, und James machte sich über ihn lustig. Niemand sonst wusste davon, und Hyslop selber hatte es anscheinend vergessen. Unglaublich.

Van der Post knüpft noch ein paar Gedanken daran. Der Schlafanzug, ja, Schlaf und Tod, und rot als die Farbe des Lebens, und all das frisch in der legendären Hauptstadt der Kundt und der Liebe … war ein passenderes Symbol für das Weiterleben denkbar, fragte er.

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.