Das Christkind aus den grossen Wäldern
Heiliger Abend. Dazu gibt es die perfekte Geschichte, die ich jedoch nur nacherzählen kann, da sie 46 Seiten lang ist. Wenn man Glück hat, findet man auch andere Weihnachtsgeschichten, die sich von dem abgedroschenen Kram abheben. Also nun Das Christkind aus den grossen Wäldern.
Geschrieben hat die Erzählung Edzard Schaper (1908-1984), geboren in der Provinz Posen, und von dem man sagen kann, wie es Günter Herburger von sich tat: übte viele Berufe in vielen Ländern aus. Das ist immer eine gute Voraussetzung für einen souveränen Schriftsteller. Später kam er in die Schweiz, wurde Katholik, war ein viel gelesener Autor und starb 1984 in Bern. 1944 berichtete er für die Nachrichtenagentur UPI über den Krieg in Finnland (er hatte auch die finnische Staatsbürgerschaft).
Ein Patrouille von sieben Männern ist im eiskalten Januar in Ostkarelien unterwegs und muss sich durch die russischen Linien wieder zu den eigenen Stellungen durchschlagen (Der Erzählband heißt Hinter den Linien, erschienen 1954, also vor 60Jahren.) Sieben Männer – wie die sieben Zwerge und die sieben Samurai von Akira Kurosawa, dessen Film auch 1954 erschien und das Western-Genre entscheidend beeinflusste. Sieben ist eine heilige Zahl.
Das Dorf Kangasjärvi ist verlassen. Die Männer hören aber ein Weinen. Sie finden in einer Krippe ein Kind … doch Vorsicht! Es ist mit Schnüren an einer Mine befestigt, und es gelingt ihnen, den Sprengkörper abzulösen. Der Korporal Jänttinen ist entschlossen, das Kind mitzunehmen. »Ich nehme es halt mit!« sagt er. Er bindet es sich vor den Bauch und folgt mit seiner Last den anderen. »Wie eine Lokomotive pflügte er sich vorwärts, den Kopf gesenkt, die Schultern mit der Zeit immer tiefer gebeugt, darauf bedacht, das Bündel vor seiner Brust nicht in gar zu heftige Schwingungen geraten zu lassen.«
Der Rückweg ist gefahrvoll. Ein russisches Maschinengewehrnest lauert rechts in einem Wäldchen, sie müssen im Schnee und bei großer Kälte Ebenen überwinden und wissen nicht, ob sie den richtigen Schritt tun. Die Eiseskälte in dieser erstarrten Landschaft erinnert ein wenig an den Roman Partisan Johnny von Fenoglio, es ist packend. Doch die Männer erreichen ihre Stellung. »Ohne dass die sieben untereinander ein Wort darüber gewechselt hätten, ganz wie nach einer heimlichen Übereinkunft, trennten sie sich nicht von dem Kinde.« Jänttinen kaut immer etwas Brot vor und schiebt dem Kleinen, den er Juhani Kangasjärvi nennt, die Masse in den Mund.
Dann kam der Heilige Abend, der »eine Gemeinschaft um das Kind war«. Appell, der Feldgottesdienst, dann Briefe lesen und über Juhanis Zukunft reden. Sie übernehmen die Patenschaft für das Kind, das dann in ein Heim für elternlose Kinder gebracht werden sollte. Jänttinen schrieb sich die Adresse auf. Er hatte bald acht Tage Urlaub, und ein Telegramm war angekommen, das nichts Gutes verhieß. Seine Heimreise zeigt, dass sein Haus durch russische Granaten zerstört worden war. Auf dem Friedhof findet er drei Gräber – vermutlich das seiner Frau und die seiner beiden Kinder.
Schweigsam fährt er zurück. Er hockt herum, »eine merkwürdig lähmende Stille um sich verbreitend«. Plötzlich gab er bekannt, er habe noch etwas zu tun. Jänttinen hatte ja noch ein paar Tage Urlaub. Er fuhr zu dem Heim für elternlose Kinder. In den Betten war Juhani nicht. Er war ja schon eineinhalb Jahre alt.
Dann sieht Jänttinen spielende Kinder, die bei seiner Annäherung herschauen.
»Die Pflegerin sah, wie er mit schlaff herabhängenden Armen auf die Schar zuging, stehenblieb und irgend etwas sagte, was sie nicht verstand. Dann aber gewahrte sie, wie Juhani, der kleine Findling aus Kangasjärvi, mit einemmal zu dem fremden Soldaten aufblickte und ein kaum merklicher Widerschein des Erkennens über das kleine Gesicht ging. Im selben Augenblick hockte der Soldat nieder und blieb auf den Knien.
Er streckte die Hände nach dem Kind aus, das langsam auf ihn zukam und sich von ihm in die Arme schließen ließ. Jänttinens Hände legten sich um den mageren Rücken und streichelten ihn. ›Juhani, Jussi!‹ murmelte er, und das Kind plapperte ihm etwas ins Ohr, was wohl nur er zu deuten verstand – vielleicht über das Begreifen hinaus das wehmütige und zugleich freudige Wissen, dass seit der einen Heiligen Nacht der Geburt keiner von uns Menschen mehr nur für sich leben kann, aber dass wir auch alle nicht mehr für uns allein sterben können; dass wir für einander verloren werden und für einander gefunden, bis wir vereinigt werden in der Einen Hand.«
Frohe Weihnachten!
° º °
… und noch ein Nachsatz: gestern bei der Mood-Tour über 1700 Abrufe und 800 neue Feeds, ein absoluter Rekord, damit habt ihr mir ein wunderschönes Weihnachtsgeschenk gemacht! Anscheinend ist manipogo in Fahrradkreisen bestens verlinkt, so muss das sein. Allzeit gute Fahrt!
am 26. Dezember 2014 um 15:48 Uhr.
Lieber Mandy!
Geht sehr unter die Haut, die – „das christkind aus den grossen Wäldern“ –Geschichte! Und hat uns veranlasst, angesichts der allgemeinen Situation (Schule Ukraine) und mit „zwei pubertierenden Buben“ symbolisch dieses Jahr keinen Baum aufzustellen, sondern als Weihnachtsgeschichte diese vorzulesen und Danke – alle waren berührt!!!
Vier liebe Grüße ciao Gina, Winnie, Tim und Jan