Der Antichrist
Von Fernost nach Russland. Wladimir Solowjow kannte ich nicht, und das Buch Drei Gespräche wirkte interessant, 1961 auf Deutsch erschienen. So etwas gibt es im Antiquariat für einen Euro, das will ja keiner mehr … aber was Bücher einem schenken, ist eigentlich unbezahlbar. Russische Autoren sind belebend.
Es reden ja nur alle vom bösen Putin, was anderes hört man nicht, und man vergisst das Volk und das russische Geistesleben. Dieser Tiefsinn, die Religiosität, der grimmige Witz, der Wodka und die Verrücktheit! Nabokow und Dostojewski, Tschechow und Tolstoi – wieviel uns Russland geschenkt hat! Michail Bulgakow kennen wenige, er war ein großer Satiriker, und Der Meister und Margarita, 1940 vollendet, ist ein wunderbarer Roman, in dem der Teufel als der Magier Voland auftritt und die Beteiligten an Ostern erlöst werden, ins Paradies eingehen.
Solowjow, den noch weniger kennen als Bulgakow und der von 1853 bis 1900 gelebt hat, hoffte auch auf die Erlösung. Er soll ein »rätselhafter Mensch« gewesen sein, lang und dürr, mit zottigen Haaren, geistreich und provokant. 1879 unternahm er eine Reise gemeinsam mit Dostojewski. Solowjow glaubte an das »ewige Rom« und eine einige Weltkirche, und er fürchtete den Antichristen.
Im dritten der drei Gespräche liest Herr Z., der für den Autor spricht, die Geschichte des Mönchs Pansophius vor, in der ein Imperator weltweit die Macht übernimmt, die Menschen satt macht und dann für deren Unterhaltung sorgt, wonach er versucht, sich die Kirchen zu unterwerfen. Er veranstaltet in Rom ein Konzil wie das von Konstanz. Der Magier des Imperators schafft es, den Starez Johannes und den Papst Petrus zu töten. Jedoch erwachen sie wieder zu leben, und sie reichen sich die Hände, und der Dritte im Bunde ist der deutsche Professor Ernst Pauli. Die Religionen sind vereint, die Männer ziehen ab, dem Sinai entgegen .… und da bricht das Manuskript ab.
Immer wieder wandten sich leidenschaftliche und gläubige Autoren gegen den russischen Atheismus. Wladimir Solowjow glaubte an die Auferstehung als den Kern des Christentums, und wer könnte ihn widerlegen? Welchen Sinn soll dieses Leben haben, wenn wir alle sterben müssen und verschwinden? Darum geht es in den Gesprächen zwischen einem General, einem Fürsten, enem Politiker, einer Dame und Herrn Z., natürlich zwischen Cannes und St. Tropez, denn Russen gingen oft in die Emigration, weil es zu Hause unerträglich war.
Und der Antichrist, was ist er? Ist er vielleicht keine Person, sondern ein böser Geist: der Geist des Konsums und der Unterhaltung, des Glaubens an Dinge und die Technik anstatt an Gott und die Liebe. Es ist die Anbetung des goldenen Kalbs. Wie lange wird so eine Gesellschaft bestehen? Die westliche Konsumgesellschaft besteht schon ziemlich lang für einen Menschen, kurz aber gemessen an der kollektiven Geschichte, und womöglich ist die Menschheit noch nicht tief genug hinabgesunken in den Materialismus. Der Antichrist hat noch Arbeit vor sich.