Lahme gehen

Klara, die Frankfurter Freundin Heidis (in dem Buch von Johanna Spyri) ist gelähmt. Das sei so, »seit meine Mutter gestorben ist«, erklärt sie (im Film). Da ahnen wir schon, dass die Ursache vermutlich psychischer Natur ist. Es gibt einige solcher Geschichten …

Ein emotionaler Schock kann dazu führen, dass im Körper eine Blockade auftritt. Der Körper ist das Unbewusste und agiert etwas aus. Bei Klaras Besuch stößt der eifersüchtige Geißen-Peter deren Rollstuhl über eine Klippe. Nun ist sie in der Bergewelt dazu verurteilt, auf einem Stein sitzen zu bleiben. Und da ist das Geißkitz, ein Vogel, das Essen wartet … und Klara vergisst ihr Trauma und tut die ersten Schritte. Das ist ganz unspektakulär geschildert und gut.

Don Antonio ― der Schamane, den James Dow für sein Buch The Shaman’s Touch 1986 näher vorstellte ― berichtete über einen Fall aus seiner Praxis. Der Sohn eines Obersten war seit acht Jahren an den Gliedmaßen gelähmt. Er konnte nicht mehr laufen. Viele Ärzte hatten eine Kur versucht, nichts schlug an. Don Antonio ahnt das Richtige und konfrontiert den Kranken mit seiner Diagnose: Er sei verhext worden. Seine Verlobte hatte ihn verlassen und ihn mit einem Spruch über seine Männlichkeit gekränkt. Er sei mit Worten verhext worden, befand Don Antonio. Der Macho in ihm konnte das nicht akzeptieren und fand den »Ausweg«, nicht mehr gehen zu wollen. Gespräche und eine Tinktur halfen ihm wieder auf die Beine.

In Kapharnaum heilte Jesus einen Gelähmten, wie es bei Markus steht (2,1-12). Er vergab ihm seine Sünden, was die Schriftgelehrten kritisierten: Das könne nur Gott. Was schwieriger sei, fragt Jesus: Sünden zu vergeben oder jemanden zu heilen? Es ist eigentlich dasselbe. Früher, als Krankheit und Sünde miteinander in Verbindung gesehen wurden, war die Vergebung schon Heilung, der Mann wäre bald aufgestanden. Aber Jesus zeigt, dass ihm auch das ein Leichtes ist, und er sagt: »Steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause!«

Ich erinnere mich auch an eine Geschichte aus dem Buch eines Freiburger Chirurgen, Hans Kilian (Hinter uns steht nur der Herrgott). Eine junge Bäuerin in einer Schwarzwaldgemeinde wurde von ihrem Mann und dessen Angehörigen behandelt wie eine Dienstmagd, weil sie ihren Mann noch kein Kind geboren hatte. Dann glitt sie aus und verletzte sich. Plötzlich kümmerte man sich um sie, doch sie blieb bettlägerig, obwohl kein organisches Leiden vorlag. Es lag eher ein »sekundärer Krankheitsgewinn« vor: Die junge Frau fühlte sich endlich menschlich behandelt.

Auch sie blieb acht Jahre in dem Zustand. Ich erinnere mich nicht genau, aber in diesem Fall wurde sie durch eine Schockmaßnahme zum Gehen gebracht. Die Kranke musste erkennen, dass ihr Leiden selbstgemacht war und sie nicht weiterbrachte. Gerade Ende des 19. Jahrhunderts gab es viele Fälle von psychosomatischen Lähmungen bei Frauen, was irgendwie ein Ausdruck für deren hilflose soziale Stellung war.

Heute ist dieses Krankheitsmuster nicht mehr weit verbreitet. Wir haben nun die Depression und das Ausgebranntsein. Die Autoimmunkrankheiten sind Sonderfälle. Sie sind so gut erforscht, dass man (negative) Prognosen zu stellen wagt. Dennoch mag eine unbekannte psychische Ursache vorliegen. Wie sie sich genau auswirkt, wissen wir nicht. Es gibt einige Heilungen bei eigentlich »unheilbaren« Krankheitsbildern, und man fragt sich: Wenn es ein paar Male geschehen kann, wieso nicht öfter, wieso nicht immer?

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