Ausgang für die Toten

Wer aus unserer Welt die andere (das Jenseits) besuchen möchte, könne dies, schrieb der indische Gelehrte Ananda Kentish Coomaraswamy (AKC), nur in einem bestimmten Intervall tun, das nur einen Augenblick geöffnet sei. Das trifft nach dem Volksglauben auch auf diejenigen zu, die, verstorben, ihrem früheren Aufenthaltsort einen Besuch abstatten wollen. Offen ist die Passage für die Toten am 1. November.    

Die Literatur über die Reisen Lebender ins Totenreich ist natürlich reichhaltiger als diejenige über die Reisen in Gegenrichtung. Die Verstorbenen können wir nur einladen und ihnen Geschenke machen, um sie anzulocken. Jedoch können wir ihren Besuch auch »nachspielen«. Der italienische Anthropologe Carlo Ginzburg schreibt in seinem Buch Hexensabbat: »Hinter Erzählungen, Bettelumzügen, Schlägereien, Verkleidungen haben wir einen gemeinsamen Gehalt entziffert: die symbolische Identifikation mit den Toten in der Reglosigkeit der Ekstase oder in der Frenesie des Ritus.« 

Frenesie des Ritus: Guggemusiker in St. Gallen

Solch ein Ritus ist Halloween. Ginzburg schreibt weiter: »In einer Gesellschaft von Lebenden (…) können die Toten nur durch Personen verkörpert werden, die unvollkommen in den sozialen Körper eingefügt sind.« Wer schwarz gekleidet herumzieht oder Gaben verlangt, sind Kinder und Jugendliche. Früher waren es die Armen, die umherzogen und stellvertretend für die Toten Nahrung wollten.  

»In den Mythen und Riten, die sich auf den Tod beziehen, kehrt beharrlich die Idee wieder, ins Leben zurückgerufen, neu geboren zu werden«, meint Ginzburg. Zuweilen wird sogar jemand zurückgeschickt aus dem Himmel, wie etwa im Märchen Der Schneider im Himmel der Gebrüder Grimm. Der arme Schneider wirft einen Schemel hinunter auf die Erde, um eine Missetäterin zu bestrafen, und der Herr bestraft ihn, indem er ihn zurückschickt. Auch der Münchner im Himmel darf oder muss bei Weiß Ferdl zurück. Er wird auf eine Mission ins Hofbräuhaus geschickt, weil er oben stört.     

In unserer Gesellschaft wird der Tod korrekt behandelt; es gibt einen Nachruf für den Verschwundenen, und das war’s. Stillschweigend wird uns gesagt: Die sind weg. Krishnamurti sagt: »Liebe ist Leben, und darum ist sie auch Tod. Den Tod zu leugnen und sich ans Leben zu klammern heißt, die Liebe zu leugnen.« Vielleicht ist die seit langem herrschende Mode der Krimis unsere Art, uns mit dem Tod zu konfrontieren. Dauernd sterben in Büchern und Filmen Leute — und derart grausam, als hätten sie gesündigt. Es ist, als opferten wir fiktiv, damit es uns nicht real an den Kragen geht. 

So halten wir wenigstens in der Fiktion den Gedanken an den Schnitter Tod wach. Der Kommissar ist der Erlöser, der den Tod sühnt, damit das Opfer in Frieden ruhen kann. Es geht darum, dass die Rechung aufgeht. In einer US-Fernsehserie, die alte Fälle von vermissten Personen behandelt, gleitet das Opfer nach der Lösung des Mordes kurz vor Ende immer noch einmal lächelnd als Geist vorbei. Sie sind ja noch irgendwo, die Verstorbenen, aber ob sie nun gerade am 1. November Lust haben  vorbeikommen, weiß man nicht.  (Rechts der Tod vor der Engelsburg.)

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