Der Überholer

Zwei Jahre nach dem Wachsamen und La dolce vita erschien, 1962, die italienische Filmkomödie Il sorpasso. Dino Risi drehte sie mit Vittorio Gassman und dem blutjungen Jean-Louis Trintignant in den Hauptrollen. Il sorpasso ist der Überholvorgang, was sich nicht als Titel eignet, aber Verliebt in scharfe Kurven, damals der deutsche Verleihtitel, ist gräßlich und schob den Film, durch dessen Oberfläche Tragik und Tiefsinn schimmern, in die Ballermann- und Softporno-Ecke.

ilancia2sDer Überholer (mein Vorschlag 60 Jahre danach) wäre gut gewesen, denn der schöne Bruno (Gassman) lebt auf der Überholspur. Er gabelt Roberto in seiner römischen Wohnung auf und entführt ihn in seinem schnellen Lancia-Coupé Baujahr 1956, Typ Aurelia B 24. Der schüchterne Jura-Student kommt mit der Lebenslust und der Power Brunos nicht zurecht und will mehrere Male ausbüchsen, um wieder heim an seine Bücher zu kommen. Klappt aber nicht; das Schicksal hat es anders vor. Ganz zum Schluss, zwei Minuten vor dem Schriftzug FINE sagt Roberto verzückt, es sei der schönste Tag seines Lebens gewesen; er hat eine Ahnung davon bekommen, wie man, ja, mehr Spaß habe könnte, feuert Bruno zu riskanten Überholmanövern an, doch dann kommt ihnen ein Lastwagen entgegen und das Cabrio von der Straße ab. Bruno kann sich retten, Roberto stirbt. So endet eine italienische Filmkomödie (wie Der Wachsame: mit einem Unfall).

ilancia1sAm Anfang und bis zum zweiten Drittel geht einem Bruno gewaltig auf die Nerven. Er reißt überall das Geschehen an sich, agiert mit Hochdruck und ist dennoch ein simpaticone, den alle lieben. Roberto steht schweigend und ratlos daneben. Dino Risi, der Regisseur, sagte zehn Jahre später (laut Wikipedia) in einem Interview, Bruno sei »ein typischer Italiener, oberflächlich, faschistisch. Er ist ein Machtloser, ein Unentschlossener, stark im physischen Gebaren, im Frappieren, aber ohne echte Eigenschaften, ohne Moral«.Wikipedia verdanke ich die Information, dass die Protagonisten in Wim Wenders‘ Film Im Lauf der Zeit (1976, den wir so sehr geliebt haben) Bruno und Robert heißen, und gespielt werden sie von Rüdiger Vogler und Hanns Zischler. Das kann kein Zufall sein, denn Wenders kannte die Kinogeschichte.

ilancia3sDas liebenswerte Großmaul, auf das nicht viel Verlass ist: ecco Bruno. Sein Auftreten ist aufgesetzt, ist Schauspiel. (Auch der Straßenverkehr sei in Italien Theater, sagte einmal Ennio Flaiano). Er baggert Mädels an, pumpt sich Geld, erzählt Episoden aus seinem Leben, und alles mit großer Geste, und dann packt er wieder Roberto ins Auto, und sie rasen wiederum, beständig hupend, durch ein leeres Land mit einer Handvoll Automobilen. Vom Radsport hält er nichts, er beschimpft sogar die Sportler. Das läuft alles in hohem Tempo und zu den Hits der damaligen Zeit ab und ist natürlich in Schwarz-Weiß.

Im letzten Drittel ändert sich dann etwas. Bruno nimmt seinen nunmehrigen Freund zu seiner Ex-Frau mit (eine kühle Blonde; ach, wie kühl konnten diese Blondinen in den 1960-er Jahren sein!), die ihn als Schwätzer durchschaut hat. Doch dann gibt er sich liebevoll seiner 15-jährigen Tochter gegenüber, gibt seine Schwächen als Vater zu erkennen und wächst einem langsam ans Herz, so dass er einem im letzten Filmbild furchtbar leid tut, als er verzweifelt zum Autowrack hinunterschaut, in dem er einen Freund verloren hat.

 

 

 

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