Flugverkehr (105): Aus der Boeing gefallen

104 Flugverkehre ohne die ersten Seiten der Satanischen Verse von Salman Rushdie! Kaum zu glauben. Ich lag auf dem Sofa und mein Blick heftete sich an den Rücken dieses Buches, das ich mir vor 30 Jahren gekauft haben mag. Hielt es damals für toll (heute immer noch), und jetzt wär’s noch wertvoller, weil ich mehr weiß über Indien, den Islam und die Reinkarnation. Das lesen wir nochmal. Irgendwann. Denn ich weiß, dass auf den ersten Seiten zwei Männer vom Himmel fallen.

003Siebeneinhalb Seiten lang fallen sie, und geschrieben sind sie ekstatisch, überdreht und komprimiert; wer dann Feuer gefangen hat, wird die restlichen 528 Seiten noch weiterlesen. Ich erinnere mich nicht, warum islamische Mullahs damals, 1989, wegen dieses Buches ein Todesurteil über den indisch-britischen Autor verhängten. Jedenfalls lebt er noch, der Salman Rushdie, 73 Jahre alt, und hat in den 30 Jahren seither weitere 10 dicke Romane verfasst.

Der Anfang der Satanischen Verse:

»Um wiedergeboren zu werden«, sang Gibril Farishta, während er vom Himmel stürzte, »musst du erst sterben. Ho ji! Ho ji! Um weich zu landen am Busen der Erde, musst du erst zum Vogel werden. Tat-Taa! Taka-tan! Um heiter zu genießen, müssen erst Tränen fließen. Wie willst du die Liebe wagen, mein Herr, ohne zu klagen? Baba, willst du wiedergeboren werden …« An einem Wintermorgen, kurz vor Tagesanbruch, so um den ersten Januar herum, fielen zwei leibhaftige, ausgewachsene Männer aus einer Höhe von achttausendachthundertvierzig Metern in Richtung Ärmelkanal, und zwar ohne Hilfsmittel wie Fallschirme oder Flügel, aus heiterem Himmel.

Der Jumbo-Jet Bostan, Flug AI-420, war explodiert. Die beiden — der zweite ist Mr Saladin Chamcha, beide sind Filmschauspieler — rudern durch die Luft, singen und machen sich Gedanken. Bis sie aufschlagen auf dem Strand.

baie7Sie waren die einzigen Überlebenden des Unglücks, die einzigen, die aus der Bostan stürzten und am Leben blieben. … Folgendes waren die ersten Worte, die Gibril Farishta sprach, als er auf dem schneebedeckten englischen Strand erwachte, neben seinem Ohr, so unwahrscheinlich es klingt, ein Seestern: »Wiedergeboren, Spoono, du und ich. Alles Gute zum Geburtstag, mein Herr; alles Gute zum Geburtstag.«
Worauf Saladin Chamcha hustete, prustete, die Augen öffnete und, wie es sich für ein Neugeborenes gehört, in lächerliche Tränen ausbrach.   

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