Die längste Nacht

Die vergangene Nacht war die längste des Jahres. Oder ist es die kommende Nacht? Das heißt jedenfalls Wintersonnenwende und gibt Anlass zu Freude: Die Tage werden wieder länger! Die Märchen und Mythen haben immer wieder Geschichten für die Phänomene der Erde gefunden, etwa für Tag und Nacht. Ich spürte eine Erzählung aus der vedischen Literatur auf.

Das mit dem Aufspüren war nicht schwer: Es handelte sich um die dritte Geschichte in dem Buch Indische Märchen (Bechtermünz Verlag Augsburg, 1998). Auf Vedisch wurden die ersten heiligen Texte der Hindus geschrieben, etwa 2500 bis 500 vor Christus. Auch das große Epos Mahabharata, das ich gerade lese, ist  aus der vedischen Epoche. Mein Märchen über die Entstehung der Nacht ist kurz:

Jama war gestorben. Die Götter suchten Jamī den Jama auszureden; doch wenn sie sie fragten, sagte sie immer: »Jama ist gestorben.« Da sagten sie: »So vergisst sie ihn nicht. Wir wollen die Nacht hervorbringen!« Denn damals gab es nur den Tag, keine Nacht. Da brachten die Götter die Nacht hervor. Darauf ward es Morgen. Da vergaß sie jenen. Darum sagt man: »Tage und Nächte lassen das Leid vergessen.«

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Jama (oder Yama) bedeutet Zwilling; das Paar war das erste Menschenpaar. Nach seinem Tod wird Jama als der erste Verstorbene König im Totenreich, der Totengott und auch der Gott der Zeit. In der Unterwelt weist er dem Neuankömmling einen von fünf Pfaden zu, je nach dessen vergangener Lebensweise.

Die Sonne steht zur Wintersonnwende flach, und nahe des Polarkreises fällt der Sonnenaufgang an diesem Tag aus. Die Sonne bleibt an Nord- und Südpol unter dem Horizont, schiebt sich allenfalls ein Stücklein hoch, und die Polarnacht dauert ein halbes Jahr.

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Das kalte Eisen des Dezembers
hallt am Pfahl,
mit harter Faust
vom Wind geschlagen.
Die Fähre eingefroren.
Fischkästen, bereift,
von Möwen bevölkert.

Am blätterdunstigen Feuer,
die Pelzmütze
tief über die Ohren gezogen,
hocken fremde Soldaten.

In dünnen zerfransten Mänteln
Gefangene
um eine Eiche geschart.
Sie blicken zum Fluss.
Zwei Frauen
in schneeverkrusteten Schaffelljacken
gehen nach Norden
über das Eis.

Peter Huchel, Winter.

 

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