Glockengeschichten

Die Glocke war das Motiv, das an verschiedenen Stellen auftrat, zuletzt beim Gießer Felix in Zürich (der gestrigen Beitrag). Schwierig, dieser alten Kunst auf die Schnelle gerecht zu werden, aber versuchen wir es. Viel ist dazu nicht zu finden. Glockengießen war gewiss eine Kunst, die nicht jedem anvertraut wurde: ein heiliges Geschäft, deren Geheimnisse einem der Meister weitergab. 

service-pnp-habshaer-nm-nm0000-nm0053-photos-113843prSeit 5000 Jahren werden Glocken gegossen, sie rufen zum Gottesdienst und sind eine Stimme Gottes. Traditionell werden sie am Freitag um 15 Uhr hergestellt, in der Sterbestunde Jesu Christi.  Das Innere der Glocke, der Kern, wird aus Lehmschichten und Steinen gemauert, dann folgt die »falsche Glocke« aus Lehm und Talg, auf die grober Lehm aufgetragen wird, der den Mantel bildet. Dieser wird abgenommen, die falsche Glocke wird zerschlagen, und nun kommt es zum Guss: In den Hohlraum zwischen Kern und Mantel füllt man die Glockenspeise ein, 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn, auf 1100 Grad erhitzt.

Wen es interessiert: In Teil 2 des Films Andrej Rubljow von Andrei Tarkowski (1966, mit deutschen Untertiteln) kann man den Guss einer Glocke verfolgen, etwa von Minute 54 bis zur Weihe bei 1:18. Der junge Obergießer behauptet, sein Vater habe ihm das Geheimnis anvertraut; später gibt er zu, dass das gelogen war. Die Glocke wird aber gut.

Das Erzbistum Köln hat eine Liste aller seiner Glockengießer vorgelegt. Das waren wichtige Leute — fast so wichtig wie die Dombaumeister. Man kann sich die Spannung vorstellen, wenn nach dem Auskühlen, das mehrere Tage dauert, die Glocke erstmals angeschlagen wird. Eine Glocke hat 50 Klangfarben, und meine Quelle dazu ist hier.

service-pnp-matpc-22800-22867rNicht nur im »schwarzen Garten«, der Geschichte um Felix und Sulamith, werden der Glocke ein Eigenleben und mystische Qualitäten zugeschrieben. In der Idylle vom Bodensee — ein episches Gedicht von Eduard Mörike (1846) — graben Mönche, die eine Kapelle am Seeufer errichten wollen, heidnische Kultgegenstände aus und lassen sie, geschmolzen, in die Glocke einfließen. Doch als dann »der Gießer sie anschlug, sanft mit dem Hammer / Prüfend am äußeren Rand, und stärker, und wie er nur wollte, / Seht! da verweigert sie stracks den Ton …« Ein Franziskaner aus dem Thurgau muss einen Exorzismus vornehmen, und danach klingt die Glocke, der Maria gewidmet.

Am 7. Oktober 1853 sollte das Schiff Fairy Queen (Feenkönigin) von Charlottestown nach Pictou segeln. Acht Passagiere waren an Bord neben der achtköpfigen Mannschaft. Vier der Passagiere waren Frauen aus der Kirchengemeinde von St. James. Aus unbekannten Gründen begannen die Glocken der Kirche zu läuten, während das Schiff gerade sich zum Ablegen bereit machte. Kapitän Cross, der gerade eine Ausfahrt in den Park vorbereitete, war verwundert: Hieß das nicht, ein Schiff sei in Not? Er lief zur Kirche, hörte die Glocken ganz klar acht Mal schlagen. Drei Frauen in weißen Kleidern standen draußen, und eine weitere Frau – vermutete er – läutete. Dann waren sie Frauen fort. Die Kirchentür blieb verschlossen.

Erneut erklangen die Glocken. Der Priester und der Mesner erschienen, die Tür wurde geöffnet, man sah drei Frauen zum Glockenturm hochsteigen, doch als die drei Männer ihnen folgten, hörten sie noch den achten Schlag, fanden den Raum oben im Glockenturm leer und die Glocken gut befestigt. Um die Mittagszeit legte die Fairy Queen ab, und am nächsten Tag war zu hören, sie sei nicht in Pictou angekommen. Vier Meilen vor der Insel lief das Schiff voll und sank. Die Besatzung überlebte, die Passagiere starben; von den vier Frauen fand man keine Spur mehr. Warnten ihre Geister (der Lebenden, die vielleicht nichts davon wussten) vor dem drohenden Unglück?

Das Lied von der Glocke, eine Ballade von Friedrich Schiller, mussten Generationen von Schülern auswendig lernen. Das lassen wir aber beiseite, obwohl über die Kunst des Gockengießens einiges gesagt wird.

Erwähnt werden müssen noch die Glocken von Carpegna, einem kleinen Ort in der italienischen Region Marken. Am 1. November 1970 war die kleinste der vier Glocken der Pfarrkirche San Nicolò zu hören, obwohl sie sich nicht regte. Das ganze Jahr 1971 hörte man drei der vier Glocken immer wieder läuten, und es gab weder eine Erklärun noch einen Anlass dafür. Es war eine rätselhafte Spuk-Erscheinung, denn beim Spuk tauchen zuweilen Mimikry-Geräusche auf, die vernehmbar sind, doch nicht erzeugt werden — wie die Glocke im Fraumünster zu Zürich, die Felix und Sulamith rettete.

 

Illustration: oben die Glocke der Kirche San Miguel, Santa Fe, USA, aufgenommen am 22. März 1934 von James H. Slack;
unten links die Weihnachtsglocke von Bethlehem, Kirche St. Katharina (Matson Photo Service, zw. 1950 und 1977):
Dank wie immer an Library of Congress, Washington D. C.

 

 

 

 

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