Giacomo Casanova

12 Bände mit insgesamt 4000 Seiten — das ist die Geschichte meines Lebens von Giacomo Casanova, die 1825 zum ersten Mal erschienen. Das Gesamtwerk ist immer nur verkürzt veröffentlicht worden; vier Fünftel davon beschöftigt sich mit Diplomatie,  dem Geldverleihen, den Sitten, dem Alltag. Man wollte aber Casanova und die Frauen lesen. Meine Ausgabe ist 250 Seiten lang und aus dem Jahr 1984. Viele Affären, da schwindelt es einem.

Casanova_ritrattoEs macht einen schwindlig: Was für eine Folge von Ereignissen, welche Jagd durch Länder und Fürstentümer, Jobs hier und dort, nach dem Spiel verarmt, von einem Gönner gerettet, und immerzu verliebt. Es gibt viele junge Mädchen, die Casanova ewige Liebe schworen, zwei Dutzend hätten ihm ALLES gegeben; wie kann man wissen, welche die Richtige ist? Der Gedanke an die wahre Liebe kam aber in Casanovas System nicht vor. Er in den Händen einer einzigen Frau, jahrelang: undenkbar. Wenn wir die Memoiren lesen, haben wir keinen Grund zu glauben, dass der junge Springinsfeld (oder ältere Herzensbrecher) nicht jedes Mal in Wallung geriet, unsterblich verliebt, wahnsinnig entzückt war, doch dann war immer eine nächste, auf die sein Blick fiel. Die Herzen flogen ihm zu. Ein Satz macht ihn uns sympathisch:

… ich habe immer die Schwäche gehabt, vier Fünftel meiner eigenen Genüsse in denen zu finden, welche ich dem reizenden Wesen verschaffte, das mir dieselben gewährte.

Dieser Mensch hat wahrhaft gelebt! Und schon mit 15 hatte er das Selbstbewusstsein eines Großen. Er hatte die niederen Weihen erhalten, kam in die Dienste eines Bischofs, und wie er es anstellte, in den 30 Jahren darauf von Königen und Herzögen empfangen zu werden, bleibt sein Geheimnis. Casanova war ein Spieler: alles oder nichts. Er fegte durchs Leben, und schwebte in seinen Affären mit Frauen immer zwischen Erregung und Verzweiflung; so fühlte er sich lebendig. Federico Fellini verfilmte sein Leben 1976 mit Donald Sutherland, schrill wie immer.

ImJobAls Beispiel soll nur eine Vierer-Beziehung geschildert werden. 1753 kehrt Casanova, 28 Jahre alt, nach Venedig zurück. Er verliebt sich in ein 14-jähriges Mädchen, das er C.C. nennt, und sie versprechen sich die Ehe. Er ist glühend verliebt. Doch der Vater des Mädchens will bis zur Hochzeit noch vier Jahre warten und steckt sie ins Kloster. Dort fällt das Auge der Nonne M.M. auf Casanova. Sie ist so alt wie Giacomo, kommt aus dem Adel und hat auch einen Geliebten, den französischen Gesandten de Bernis (40 Jahre alt), der ihre Leidenschaft für Casanova duldet. Manchmal beobachtet er die beiden beim Rendezvous aus einem geheimen Zimmer heraus.

Es kommt auch zu Treffen der beiden Frauen mit Casanova, und dann ziehen sich alle drei aus. Oft tragen sie Masken und legen diese erst am Treffpunkt ab. Bei einem Souper zu viert verliebt sich anscheinend de Bernis in C.C., und M.M. und Casanova verschwinden, um die beiden alleine zu lassen. Es gibt geheime Treffen. Eine Gondel trifft ein, Casanova soll sagen zum Kasino, und wird hingefahren. Aber dann, nach einem Jahr, endet die dramatische Geschichte. Der Gesandte muss nach Paris, M.M. wird krank, Giacomo Casanova in die Bleikammern gesteckt, während C.C. auf ihn wartet, dann aber einen Advokaten heiratet. (Es ist immer traurig, wenn die Angebeteten das bürgerliche Leben ereilt.)

Nach seiner Flucht 1755 hat er wieder 20 abenteuerliche Jahre vor sich; wie hält man das alles aus? Doch es war die Zeit bis zum 50. Mannesjahr und  Casanova in voller Kraft. Seine Memoiren brechen ab, als er 1774 nach Venedig zurück darf. Er beschließt das große Werk so:

Um jene Zeit, und vielleicht zum ersten Male in meinem Leben, hielt ich eine traurige Einkehr in mich selbst, beklagte meine vergangene Aufführung, verwünschte das fünfzigste Jahr, dem ich mit vollen Segeln zusteuerte, wiegte mich in keine Illusionen mehr ein und verzweifelte darüber, keine andere Aussicht zu haben als den Ekel des Alters, ohne Anstellung und Vermögen, mit einem zweideutigen Rufe und einem Herzen voll Reue. Um diesen schmerzlichen Betrachtungen eine andere Richtung zu geben und auch zu einem moralischen Zwecke habe ich diese Memoiren niedergeschrieben, das vielleicht allzu aufrichtige Bild meines Lebens; man wird sie veröffentlichen, wenn man will, und das kümmert mich wenig, denn ich bin von allem enttäuscht.

Alles endet irgendwie. Der Tiefpunkt war 1776 erreicht, als er sich als Geheimagent für die venezianische Inquisition anwerben ließ, ein IM (Informeller Mitarbeiter) des Dogen. 1780 gründet er noch eine Theatergruppe und lässt sich in Wien als Sekretär des Gesandten Venedigs anstellen. 1785 ging er auf das Angebot ein, Bibliothekar auf Schloss Dux zu werden. Viel kann er da nicht zu tun gehabt haben; er war oft schlecht gelaunt und stritt sich mit allen herum und feilte an seinen Memoiren, die ihn unsterblich machten.

 

 

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