Der geheimnisvolle Fremde

Der geheimnisvolle Fremde, der in dem österreichischen Kaff Eselsdorf auftaucht im Jahr 1590, nennt sich Philipp Traum. Er könnte sich auch Mephisto nennen, denn er ist Satan oder Luzifer, lächelt freundlich und bringt vermeintlichen Segen über seine Freunde. Mark Twain ließ seine 110 Seiten lange Erzählung, die erst nach seinem Tod erschien, geradezu nihilistisch enden. Doch wir finden einen Ausweg.

DSCN3776Dass der böse Pater des Dorfes Vater Adolf heißt, ist Zufall (oder war prophetisch), und dass eine schöne Margret auftaucht, ist kein Zufall. Doktor Faustus, der in Goethes Epos mit dem Teufel einen Vertrag schließt, umgarnt und verführt das Gretchen. Wie war das bei Faust? Der Gelehrte will verzweifeln, doch der wendige Mephisto verspricht ihm Wissen und Liebe und Ruhm. Also verkauft Faust ihm seine Seele. Der Teufel hat anscheinend Reichtümer und eine Rolle im Großen Plan — er stellt die Menschen auf die Probe. Viele lassen sich von Macht und Geld verführen und verkaufen ihre Seele (an die Firma, das Fernsehen, das Showbiz) und merken es zu spät.

Der Erzähler, ein kleiner Junge, schildert gebannt und begeistert, was sich im Winter jenes Jahres in Eselsdorf abspielt. Frauen werden der Hexerei bezichtigt, Pater Peter des Diebstahls beschuldigt, und Wilhelm und Margret leben in Armut. Dann greift Philipp Traum ein, wendet alles zum Guten, aber freilich merken die Dorfbewohner, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht.

Philipp Traum lässt erkennen, dass er die Menschen verachtet, weil sie nicht zwischen Glück und Unglück entscheiden könnten und ihr sittliches Gefühl über alles stellten. Er schafft schnell ein paar kleine Wesen und zerquetscht sie, wie es ihm gefällt; er verändert Lebensläufe und greift überall in Schicksale ein. Schließlich, nach vielen tragischen Ereignissen, kündigt er dem Erzähler an, er werde nun nie mehr kommen. Dann sein Monolog:

DSC_1472aNichts existiert; alles ist ein Traum. Gott — die Menschen — die Welt — die Sonne, der Mond, das Gewirr der Sterne: ein Traum, alles ein Traum; es gibt sie nicht. Nichts existiert; nur der leere Raum — und du! … Und du bist nicht du — du hast keinen Körper, kein Blut, keine Knochen, du bist bloß ein Gedanke. Ich existiere auch nicht, ich bin nur ein Traum — dein Traum, Geschöpf deiner Phantasie. Noch ein paar Minuten, und du siehst es ein. Dann wirst du mich aus deinen Visionen verbannen, und ich werde mich in das Nichts auflösen, aus dem du mich erschaffen hast …
Ich zergehe schon — ich verscheide — ich sterbe. Gleich bist du allein im uferlosen Raum, um ohne Freund oder Kamerad seine unendliche Einsamkeit auf immer zu durchwandern — denn du bleibst ein Gedanke, der einzige Gedanke, den es gibt, und auf Grund deiner Natur unauslöschbar, unzerstörbar. Doch ich, dein armer Diener, ich habe dir enthüllt, was du bist, und dich befreit. Träume andere Träume, bessere!

Das würde man einen konsequenten Solipsismus nennen oder einen Konstruktivismus. Wahr ist, dass die Welt, die wir sehen, keine objektive ist; wie sie wirklich ist, wissen wir nicht. Alles ist Energie und Bewegung, und wir geben, bedingt durch unseren Wahrnehmungsapparat, dem, was wir sehen, Namen und erfinden uns Geschichten dazu. Sir James Jeans (1877-1946) schrieb 1944 in seinem Buch The Mysterious Universe:

Das neue Wissen strömt auf eine nicht-mechanistische Realität zu; das Universum sieht allmählich mehr wie ein großer Gedanke aus als eine große Maschine. Der Geist (mind) erscheint nicht länger als zufälliger Eindringling in das Reich der Materie … wir sollten ihn eher als Schöpfer und Gouverneur des Reichs der Materie ehren.

Das Bewusstsein ist das große Geheimnis. Alle großen Mystiker betonten, dass unsere Seele ewig lebe, und nach dem Durchgang durch diese Welt wird uns alles Gelebte vorkommen wie ein Traum. Viele neue Eindrücke werden das Erdenleben verdrängen, von allen Schlacken werden wir befreit sein und wirklich sehen können. Vielleicht müssen wir dann Satan alias Philipp Traum Recht geben.

 

 

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