Umsteigebahnhof

In Geltendorf in Oberbayern fängt die S-Bahn nach München an. Wer weiter nach Westen will, also in die andere Richtung (Allgäu), muss in einen Regionalzug umsteigen. Der Geltendorfer Bahnhof hat (oder ist) eine Halle, 10 auf  20 Meter groß, mit Holzgebälk. Dieser frühere Wartesaal liegt leer im kühlen Neonlicht. Ein trauriger Anblick, aber mich stimmt er froh.

Da ist eine Fläche, die der allgemeinen Modernisierungswut entkommen ist. Geltendorf ist wohl nicht attraktiv genug für Shops und Service Point. Die Leute kommen aus dem schicken Eigenheim mit dem Auto angefahren, stellen dieses ab, steigen in die S-Bahn nach München und kommen zurück. Es ist eher ein Aus- und Einsteigbahnhof als ein Umsteigebahnhof.

 

Manchmal entspricht so ein Ort der eigenen Stimmung. Auch das ehemalige Funkhaus der Stimme der DDR in der Nalepastraße hatte den Charme des Untergegangenen. Dass ich Ruinen und aufgelassene Fabrikanlagen liebe, hat wohl mit meinem Leben zu tun.

 

Wenn ich durch die neuzeitliche Shop-Architektur in Bahnhöfen oder Einkaufszentren laufe, denke ich mir: So ist er nicht, der Mensch. Die Geschäftswelt spielt den Kunden nur vor, wie sie ihn sich vorstellt. Er soll sich wie ein König fühlen. Im ersten Stock des Münchner Hauptbahnhofs flanieren die Leute an französischen und italienischen Cafés vorbei, das hat einen gewissen gesuchten Stil.  

Dafür gibt es andere Einrichtungen in Straßen, die wirken auf den zweiten Blick fadenscheinig. Zu viel Plastik und Holz, billige Machart, praktisch und quadratisch. Auch neue Häuser sehen so aus: Kuben, Würfel, meist weiß oder anthrazitgrau. Vor hundert Jahren waren sie mit Jugendstil-Emblemen geschmückt. Dann kam gleich wieder einer an (Loos) und wetterte gegen das Ornament (1908). Man wollte den Purismus des Bauhauses.

 

Doch dahinter war ein tiefer Gedanke. Heute ist kein Gedanke dahinter oder es sind zu viele. Wie ehrwürdig wirkt doch ein Gebäude oder ein Saal, den man dem Verfall preisgegeben hat. Ich bin ja Gnostiker und finde, dass der Mensch in diese Welt geworfen ist. Er lebt im Exil. Die neuen potemkinschen Vorschaltflächen verschleiern das. Es sollte mehr Orte geben, die dem Menschen zeigen, wie prekär seine Existenz ist; sie sind Risse in einem Gewebe, das lautloses Funktionieren und sorgloses Konsumieren vorgaukelt.

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Um noch etwas Positives hinterherzuschieben: Ein Geburtstag ist zu vermelden. Dr. Alexander Imich, ein in New York City lebender Pole, wird heute 110 Jahre alt. Er ist bestimmt der älteste  lebende Parapsychologe (und damit doppelt so alt wie ich). Ich habe einen Artikel von ihm aus dem Jahr 1932 gelesen, in dem er ein Medium aus Leipzig vorstellte.

Vor ein paar Jahren verlor er sein Vermögen beim Börsencrash, und Freunde mussten für ihn sammeln. Wer denkt schon, dass er die 100 überschreiten wird! Geboren 1903 (als Wassermann wie ich), gründete Imich 1999, als 96-Jähriger, noch das Anomalous Phenomena Research Center. Und ich als junger Mann pflege schon Endzeitfantasien!  

Michael Tymn hatte in seinem letzten Blogbeitrag  auf Imich hingewiesen. Er sei im Ersten Weltkrieg Fahrer einer Sanitätseinheit gewesen, habe in den 1920-er Jahren die parapsychologische Forschung entdeckt und sei nach dem Zweiten Weltkrieg, 1952, nach New York gezogen. Die englische Wikipedia hat sogar einen Artikel über sein Leben. Im letzten Satz heißt es, Imich beschränke seine tägliche Kalorienzufuhr, und darauf führe er sein langes Leben zurück. Herzlichen Glückwunsch! Nächstes Jahr kann ich zu Alex Imichs 111. Geburtstag dann etwas Längeres verfassen.   

 

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