Sakrale Medizin
Vor einem Monat musste ich einmal bei einem Allgemeinarzt in Heitersheim Papiere für einen Bewohner abholen. Ich betrat also das Gebäude der Vereinsbank und ging hoch ins Dachgeschoß — auf grauem Teppichboden die Treppe hinan. Zwei beschäftigte Assistentinnen, die mich gar nicht wahrnahmen. Weiße Wände. Ein Monitor, auf dem es hieß: Ist Ihre Netzhaut in Ordnung? Schauen Sie dieses Raster an.
Beim Rückweg kam ich an dem Zahnärztlichen Zentrum vorbei. Klösterliche Stille hier wie dort. Auch bei meiner Hausärztin ist alles weiß und still. Man wagt kaum zu atmen. Ärztinnen und Ärzte umgeben sich ja gern mit der Aura des Besonderen … und man weiß gar nicht, wie man das besser ausdrücken kann. Die Sparkasse gegenüber hat durch ihren Umbau auch die Kunden vom Leben der Filiale ausgeschlossen; wie eine Schranke steht da ein Tresen, wo man früher den Großraum betreten konnte. Die Priester des Geldes sind nun unsichtbar tätig. Auch Autohäuser bieten diese sakrale Stimmung.
Ich glaube nicht, dass das bewusst geschieht. Stille und weiße Wände sollen gewiss einschüchtern und tun das auch. Diese materialistische Gesellschaft, exzessiv oberflächlich, garniert sich mit dem religiösen Stil. So eine Sammlung und Stille herrschten sonst nur in Kirchen. Wir sollen befangen gemacht werden von der geballten Kompetenz, die sich nicht einmal richtig zeigt. Sie wartet im Verborgenen, und demjenigen, der nach Unterwerfungsgesten Einlass erhält, kommt sie zugute. Dieses Getue ist einfach lächerlich. Es steckt nichts dahinter, höchstens der Wunsch, etwas darzustellen und Macht auszuüben.
Die westliche Welt ist so steril geworden. Woanders herrschen vermutlich Leben und Chaos — auf anderen Kontinenten. Diese überalterte, degenerierte Zivilisation hier spielt sich auf, als wären alle adelig und etwas Besonderes. Von dieser keimfreien Welt sollte man sich fernhalten. Sie beschneidet unsere Lebenskraft und reduziert uns zu Bittstellern. Hinter all dem abweisenden Weiß und auf den weichen Teppichböden spielt sich die alte menschliche Komödie ab, da können wir sicher sein. Man versucht zwar beständig, das Leben zu vereisen und einzufrieren, damit es uns nicht zu nahe kommen kann. Aber wir Chaoten sorgen dafür, dass es eindringt und sich geltend macht.