Die symbolischen Formen

Keine Angst, es wird nicht zu philosophisch! Man kann Cassirers wichtigste These gut verstehen. Vielleicht behält man sich ja auch im Gedächtnis. Zwei US-Philosophen — Robert Hartman und M. F. Ashley Montague — haben in ihren Beiträgen mustergültig den Rahmen abgesteckt, und ihnen folge ich jetzt.

Die symbolischen Formen Cassirers sind Sprache, Kunst, Mythos (also auch Märchen, Sagen, Legenden, sogar die Religion) und die Wissenschaft. Sie spiegeln den menschlichen Geist wider, wie er sich in der Welt verkörpert. Es zeigt sich eine Selbstoffenbarung und ein Schöpfungsgang des Geistes, der versucht, ein objektives Universum herzustellen.

Was vor uns liegt, ist nicht einfach so da. Es ist von unserer Wahrnehmung nicht zu trennen. Das hat Immanuel Kant gezeigt: Wir haben Vorannahmen, mit denen wir auf die Dinge zugehen und sie benennen. Dann verschmilzt das Ding mit seinem Namen zu etwas Neuem, einer unauflöslichen Einheit. Erst ahmt der Mensch Laute nach (mimetisch), dann geht er analogisch vor (ordnet sie sprachlich an), schließlich symbolisch. Es kommt eine Synthese von Geist und Welt zustande.

Robert Hartman:

Am Anfang alles geistigen Daseins und Lebens steht nicht nur die materielle Substanz, sondern auch die sie gestaltende Bedeutungsfunktion des Bewusstseins. (…) Die Verschmelzung von Substanz und Funktion, von Materie und Form im Symbolischen … ist das Geheimnis aller symbolischer Formen und aller geistiger Tätigkeiten. (…) Das Symbol hat die Kraft der Verdichtung und der Konzentration.

Die Kunst bezieht Elemente der Außenwelt ein und schafft etwas Neues (etwas Künstliches, Künstlerisches), das auf diese neue Weise etwas ausdrückt, eine Bedeutung, und der Mythos ist damit verwandt. Ganz abstrakt ist die Sprache der Mathematik, mit der man neue Formeln zaubern kann — und doch bezieht sie sich auf objektive Erscheinungen, die in symbolische Formen gekleidet wurden. Dadurch entsteht Bedeutung. Bewusstsein schafft Bedeutung. Die Kultur könne als eine Art Selbstbefreiung des Menschen betrachtet werden, der von der Seins-Sphäre zur Sinn-Sphäre vordrang. Die Frage sollte immer sein: Was bedeutet es? Was ist der Sinn?

1949, als Robert Hartman über Cassirer schrieb, steckte die Technik noch in den Kinderschuhen. Dennoch mahnte er:

Der Mensch kann Herr über das Ungeheuer der technischen Zivilisation nur werden, wenn er im Besitz der Macht, die das symbolische Denken verleiht, bleibt — wenn er zurück zur Natur gelangt und in der Zukunft eine ethische und religiöse Aufgabe sieht. 

Computer und Roboter können nicht symbolisch denken. Sie sind mechanische Instrumente. 1948 hatte der Architekturhistoriker Siegfried Gidieon (1888-1968) das Buch Die Herrschaft der Mechanisierung herausgebracht, das auf Englisch noch packender hieß Mechanization Takes Command. Heute könnte es heißen: AI Takes Command. Die Künstliche Intelligenz ist eine Gefahr. Bald können Roboter Unterhaltungen führen wie Menschen — und womöglich noch besser, da Menschen heute schon automatenhaft wirken und in ihrer Denkfaulheit die immergleichen Phrasen von sich geben. Doch Roboter können keine Anspielungen verwenden oder hintergründig sprechen oder etwas im übertragenen Sinn ausdrücken — das ist das Privileg des Menschen.

Heute müssen wir fast eine Rückkehr vom Sinn zum Sein befürchten. Die Leute unterhalten sich über ihre Gegenstände und darüber, wie Alltagshandlungen am besten auszuführen sind. Sie hinterfragen nichts mehr; sie leben an der Oberfläche und meinen, darunter und dahinter sei nichts. Sie fragen nicht mehr, warum sie hier sind und was ihre Aufgabe sein könnte; alles wird Technik, also Meisterung des profanen Daseins. Damit verraten wir unsere bisheriges Geistesleben und das, was wir sein könnten. Ein Mensch, der geistlos lebt, wird schnell Opfer von Manipulation und Ideologie, wie wir es in Deutschland vor 100 Jahren erlebten.

 

 

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.