Namen und Symbolik

Lasst uns noch bei den Symbolen bleiben. Wir müssen verstehen, was sie sind und dass sie unser Menschsein ausmachen. Dazu klauben wir noch ein paar Zitate zusammen (womit wir sie auch klauen, wie üblich), um ein klares Bild zu bekommen, das wieder gestört werden wird (durch Schall und Rauch) und letzlich auf aller höchsten Ebene zur Klärung kommt.

»Wir finden Symbole und Zeichen überall, in der Sprache, in der Mathematik, in der Religion und in der Kunst, aber auch in der Werbung für Güter und Produkte«, schreibt die Norwegerin Anne Skjønsberg in ihrem Buch What To Believe (Was man glauben kann, 2013). Als hätte sie Cassirer gelesen.

9756ddf7-af16-4a1a-9de5-4e27d9348950Nicht zuletzt treffen wir in unseren Träumen Symbole an als Bilder unserer innersten Gefühle und Wünsche. Menschen brauchen Symbole, um Gefühle und Fantasien auszudrücken, die in Worten nicht so leicht kommunizierbar sind und um sich auf das Unbegreifliche  zu beziehen. … Ken Wilber unterschied zwischen Symbolen und Zeichen. Er überlegte sich, dass ein Symbol »transzendiere«, dass es also etwas Höheres darstellt als das, wonach es aussieht, während ein Zeichen nur etwas abbildet, damit auf derselben Ebene bleibt. … Ein Symbol muss jedoch nicht notwendigerweise ein Bild oder ein Objekt sein; auch etwas Lebendiges wie eine Kuh, eine Pflanze oder ein Berg können als Symbol dienen.

Symbole verdichten. »Eine Flut von Ideen wird in einem Symbol vereinigt«, schrieb Susanne Langer in einem Beitrag über die Sprache bei Cassirer. »Die Symbolik ist das unentbehrliche Mittel bei der Begriffsbildung.«

Wilbur M. Urban spricht von dem Vorrang des Sinnes vor dem Sein. Das ist eminent wichtig.

038Sprache ist der Sinn, die Bedeutung selbst, der Sinn, der zwar von diesen sinnlichen Wahrnehmungen, Assoziationen usw. bedingt, aber nicht mit diesen identisch ist. … Sprache ist Schöpferin der Sinn-Sphäre. … Der Geist ist gezwungen, den Schritt von der konkreten Funktion des Bezeichnens zur allgemeinen Funktion der Bedeutung zu tun. … Alles geistige Leben und seine Entwicklung besteht in einer geistigen Metamorphose, einem Übergang von der Darstellung zu den reinen Bedeutungen. 

Ja, die Sprache: »Form und Inhalt, Symbol und Sinn gehen in eins.  … Namen als Stellvertreter der Dinge oder Personen.« Bis ins Mittelalter war der Name das Ding; er bezeichnete es nicht bloß. Namen waren magisch und bedeuteten alles. Der Begriff schob sich zwischen Sache und deren Bild in der Sprache; das Bezeichnete wurde mit dem Bezeichnenden identisch und machte Bild und Sache verschwinden, indem eine völlige Deckung zwischen ihnen eintrat, eine Einheit, die auch magisch wirken kann, wenn man an sie glaubt. (Ähnliche Namen, Namen mit Reim finden im Alltag oft zueinander.)

Noch schnell ein Zitat von Edith Turner (1921-2016) aus ihrem Buch Among the Healers:

Auch wenn ich so etwas Einfaches tue wie ein Wort suchen, weiß ich, dass ich eine präzise Schwingung suche, mit der ich mich ins Energienetz »einloggen« kann. Jedes Wort ist eine Art persönliches Passwort für den Zugang zu einer menschlich-spirituelllen Kraft, was außerordentliches Vergnügen bereitet.     

ά ώ Ω

Dann passierte etwas Merkwürdiges. Ich rede oft mit einem Bewohner unseres Pflegeheims über Literatur. Er weiß sehr viel, ist aufgrund seiner Krankheit jedoch sehr schematisch, zwanghaft gar und sagt manches mehrmals, jeden Tag wieder. Jedenfalls zitierte er mir plötzlich »Namen sind Schall und Rauch«, und nicht nur einmal, sondern an drei Tagen hintereinander. Als hätte er das Thema erspürt, dass mich bewegte. Ich wusste, das war aus Goethes Faust; ja, Goethe und Cassirer!

Ich sagte: »Herr D., ich würde glatt das Gegenteil behaupten, Namen sind bedeutungsvoll. Aber so ein Zitat muss man immer im Zusammenhng lesen, ich schlag’s mal nach.« Es war schnell gefunden (hier aus dem Urfaust): In der Szene in Marthens Garten, die mit Gretchens Frage anhebt: »Sag mir doch, Heinrich! … Wie hast du’s mit der Religion?« Faust gibt zu: »Ich glaub einen Gott!« Dann legt er los: Der Allumfasser. Der Allerhalter. Haupt und Herz drängen zu ihm, in ewigem Geheimnis webt er »unsichtbar sichtbar neben dir«. Und:

DSCN4299Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn es dann, wie du willst,
Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür. Gefühl ist alles,
Name Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.

Da haben wir es. Das Größte überhaupt, die Urquelle, die heilige Energie wird von einem einzigen Namen nicht erfasst. Da versagt die Sprache. Wozu einen Namen für das Unnennbare, Unendliche? Heißt es nicht in den ersten Zeilen des uralten Tao te Kind von Laotse ähnlich?

Kr-Strasse-2Der Weg, der benannt werden kann,
ist nicht der zutreffende Weg;

Der Name, der genannt werden kann,
ist nicht der zutreffende Name.
Das Namenlose war am Beginn von Himmel und Erde,
Das Benannte war die Mutter der Myriaden von Kreaturen.

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.