Flugverkehr (143): Der Wind

Vom Himmel her ein Brausen entstand in dem Haus, »wie wenn ein gewaltiger Sturm daherführe, alleluja«. So steht’s in der Apostelgeschichte über Pfingsten, das vor einem Monat. Auf das Thema des Windes hatte mich jedoch ein anderes Zitat gebracht, das ich bei Robert Crookall las, und von dort an sammelte ich ein wenig Material, damit die Geschichte rund würde. 

Miss Johnson schilderte da aus eine ihrer Astralprojektionen:

Diese Reisen waren immer gekennzeichnet durch kalte »Luft« und durch die Empfindung eines rauschenden »Geists des Winds«, gefolgt von einer Schärfung der Fähigkeiten sowie unbeschreiblichem Frieden und einem erhebenden Gefühl.

Ein Mann namens Hives glitt durch grauen Nebel und nahm rauschenden Wind wahr, bevor er ins Licht eintrat.

Crookall kommentiert, das windartige Rauschen sei die Bewegung des Vitalkörpers, der das Bewusstsein hochtransportiert. Er ist als Double des physischen Leibs nur die Trägerrakete, die dann beiseite tritt, bevor der Astralkörper das Bewusstsein mitnimmt. Auch viele Zeugen von Todeserfahrungen beschreiben, wie sie in hohem Tempo durch den Tunnel flogen, angezogen oder angesaugt von etwas dahinter, und manchmal scheinen sie innezuhalten, während die Wände des Tunnels an ihnen vorbeigezogen werden.

Friedrich Doucet erklärt uns, dass schon das Urchristentum den Astralkörper kannte, und zwar

als Vorstellung von der Geburt des pneumatischen Menschen, also einer Luft- oder Hauch-Person. … Diese Vorstellung stützt sich auf die natürliche Erfahrung, dass der Mensch ohne Atem nicht leben kann. Damit verbindet sich der Gedanke, dass der Mensch aus der Luft, die er einatmet, auch seine Lebenskraft — und seinen Geist — bezieht. Die Antike kannte ja nur vier Elemente: Feuer, Wasser, Erde und Luft. Und die Luft ist gleichzeitig jene Dimension, die bis an den Himmel reicht und nach damaliger Ansicht die Verbindung zwischen dem gestirnten Universum und der Erde herstellt. 

Die Luft war immer der Geist … »Der Geist Gottes schwebte über dem Wasser«, heißt es zu Beginn der Schöpfungsgeschichte. Die Erde war das Solide, das Empfangende, die Gebärerin; das Wasser hatte mit den Emotionen zu tun und der Seele (beides, Erde und Wasser, eher weiblich), während das Feuer die Transformation bewirkt: Es frisst auf und verwandelt auch.

In Victor Hugos Roman Les Misérables (Die Elenden) las ich kürzlich über das geistige Projekt von Bischof Bienvenu Myriel, der uns bald wieder entgegentreten wird (in meiner Übersetzung):

Er war belesen und ein wenig ein Wissenschaftler. Er hinterließ fünf oder sechs ziemlich merkwürdige Manuskripte; darunter war eine Abhandlung über den Satz der Genesis »… und Gottes Geist schwebte über dem Wasser«. Er stellte diesem Spruch drei Texte gegenüber: die arabische Version, die sagt »Die Winde Gottes bliesen«; den Satz von Flavius Josephus, der lautet »Ein Wind von oben warf sich auf die Erde«; und schließlich die chaldäische Paraphrase von Onkelos, die so überliefert ist: »Ein Wind, von Gott kommend, blies über das Antlitz der Wasser«.   

Im Koran erscheint der Wind (al-rihya) oft als günstiges Vorzeichen, als Segen von oben.

Albert Camus (1907-1960), der algerische Schriftsteller, hat in seinem Essay Der Wind in Djemila einmal eindrucksvoll geschildert, wie der Wind ihn zerrieb und nackt zurückließ: ihn verwandelte. (Unten Djemila 1978; könnte auch Tipasa gewesen sein, aber wir waren dort.)

antikkita

 

Langsam schien der Wind …. mit jeder Stunde zu wachsen und das ganze Land zu füllen. Er kam von weither aus einer Lücke zwischen den östlichen Bergen, eilte vom Horizont herbei und warf sich in jähen Sprüngen zwischen die sonnenglühenden Trümmer. Unermüdlich blies und jagte er durch die Ruinen, drehte sich in einer Kies- und Saubwolke im Kreise, … schlang sich brünstig um jede Säule und stürmte mit gellem Geheul über das Forum, das wehrlos unterm Himmel lag. Ich flatterte wie ein Segel im Wind. … Jetzt …, stundenlang vom Wind gepeitscht und geschüttelt, betäubt und ermattet, ging mir das Gefühl für die Oberfläche, die meinen Leib zusammenhielt, verloren.

Der Wind hatte mich geschliffen wie Flut und Ebbe einen Kiesel und hatte mich bis zur nackten Seele verbraucht. Ich war nur noch ein Teil jener Kraft, die mit mir tat, was sie wollte, und mich immer entschiedener in Besitz nahm, bis ich ihr schließlich ganz gehörte, so dass mein Blut im gleichen Rhythmus pulste und dröhnte wie das allgegenwärtige Herz der Natur. Der Wind verwandelte mich in ein Zubehör meiner kahlen und verdorrten Umgebung; seine flüchtige Umarmung versteinerte mich, bis ich, Stein unter Steinen, einsam wie eine Säule oder ein Ölbaum unter dem Sommerhimmel stand.    

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