A bisserl reden

Ich wollte zuerst »Plaudern« als Überschrift nehmen, doch klingt mir das zu arg hochdeutsch. Irgendwie gestelzt und unecht klingt es. Die Engländer chatten oder halten Smalltalk, das kommt der Sache näher, weil man eben nur quatscht oder ein bisserl redet. Bei den Italienern heißt das Verb chiacchierare, die reden immer etwas mehr, was das Wort auch ausdrückt. Chiacchierare, das mag ich.

dorffKürzlich musste ich am Morgen etwas in Müllheim erledigen, fuhr durch Buggingen, und zum Glück hatte die Bäckerei Frey geöffnet, was nur mehr an drei Tagen der Woche der Fall ist. »Lange nicht gesehen!« begrüßte mich die Verkäuferin, die einen so natürlich anstrahlen kann. »Arbeiten Sie noch im Altenheim?« Das gab schon wieder Thema ab, denn am Abend zuvor hatte mein letzter Tag dort geendet. Man erzählt etwas, tauscht sich aus, kauft etwas ein und verabschiedet sich in gehobener Stimmung. Ist das nicht schön, erkannt zu werden und erzählen zu dürfen? »Aren’t people nice?« schreibt immer der australische Radfahrer Rod Driver. (Oben: Dorf im Elsass)

Am folgenden Abend fuhr ich zum Tanken nach Staufen, weil ich gern mit dem Chef der Shell-Tankstelle rede. Über Gott und die Welt. Wir verstehen uns. Man muss nicht groß philosophieren, man wirft sich die Bälle zu, man ist sich einig, und gibt es etwas Schöneres, als mit einer verwandten Seele Meinungen auszutauschen? Dazu brauchen wir keinen Unterricht in Gesprächsführung; das ist etwas Spontanes. Ein Gespräch ist eine Komposition von zwei Menschen, und damit es gelingt, sollte Geben und Nehmen, also Reden und Zuhören, ausgewogen verteilt sein. Ende der Theorie.

Harald, mein Fahrradhändler, erzählt auch gern und hört gern zu, und im Winter hat er Zeit. Am Mittwoch Nachmittag steht Constantin mit seinem Wagen und Obst und Gemüse auf dem Dottinger Markt, und wenn ich endlich zu ihm vorgedrungen bin, zu meinem beliebten bayerischen Landsmann, tauschen wir uns gründlich aus, und jeder wird bereichert davon; jeder geht bereichert davon. Auch die Frau im Staufener Uhrengeschäft hat nichts gegen ein Schwätzchen, und wir sprachen über Sulzburg, die kleine Stadt am Rand der bewohnten Welt, in der allmählich die Lichter ausgehen, weil ein Geschäft nach dem anderen dichtmacht.

summer22Auch im Pflegeheim habe ich mich immer wieder verplaudert (und den letzten Auftrag vergessen). Da gab es auch immer Bewohnerinnen, die klagten: »Niemand kommt zu mir. Mit niemandem kann ich reden.« Ich erwiderte dann, sie könnten ja selber rausgehen und das Gespräch suchen, statt zu warten,  bis jemand vorbeikommt. Jedenfalls ist der verbale Austausch ein Grundbedürfnis des Menschen. (Bild: Sommer 2020. Im Pflegeheim.)

Während Corona mussten Treffen über Zoom stattfinden, man sah sich am Bildschirm, aber — man war sich trotzdem nahe. Auch da kommt etwas rüber. Manchmal spürt man auch bei einem Telefongespräch starke Emotiuonen, die sich über die Stimme mitteilen, denn die Stimme ist Trägerin von so vielem.

In unserer technisierten und digitalisierten Gesellschaft sind wir stolz darauf, dass wir viele Dinge online erledigen.Wir haben uns dabei aber auch des zweckfreien Plauderns beraubt. Kurze Botschaften tauscht man sich über What’s app aus, un das muss immer faktisch bleiben. Was machst du, was habe ich gemacht, schau das Bild an, wo treffen wir uns?

DSCN4988Als junger Mensch träumte ich davon, in Südengland am Meer zu leben, Zeit zu haben und an der Sonne zu sitzen. Wenn ich hier auch mal zu Fuß in den Laden gehe und Marian treffe, den polnischen Gemeindearbeiter, um ein paar unbedeutende Worte mit ihm zu wechseln, während uns die Sonne bescheint, dann denke ich mir: So muss das sein. So macht das Spaß. — Bilder dazu zu finden, fiel mir schwer. Ich fotografiert immer Menschen, die posieren, oder Gegenstände und Häuser, Straßen und Räder, aber selten Menschen, die sich zwanglos unterhalten. Der Charme des Normalen muss erst noch eingefangen werden.

Alle möglichen Arbeiten werden verrichtet und Pläne geschmiedet, doch der tiefere Sinn liegt vielleicht nur darin, dass Menschen sich begegnen und solidarisch sind. Wir alle sind auf demselben Weg, und woher und wohin ist uns allen manchmal schleierhaft, aber wir gehören zusammen, wir geben uns Kraft, wir reden a bisserl und fühlen uns besser.

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