Was dahinter ist
Manchmal sagt einem ein Zitat, das über die Vergangenheit spricht, etwas über unsere Zeit. In den Sätzen, die ich heute diskutieren möchte, geht es um versteckte Realitäten im Mittelalter, und versteckt darin und doch ganz offenbar ist, dass bei uns nichts mehr versteckt ist. Alles ist das, was es ist.
»Die versteckten Realitäten übten eine unglaubliche Macht auf den mittelalterlichen Menschen aus … Er blickte mit den Augen des Glaubens auf die Welt, nahm alles als Oberfläche der tieferen Wahrheit von Gottes Hiersein wahr, und dies war das Leben des Glaubens.« Das ist aus Visions in Late Medieval England (1350−1530) von Gwenfair Walters Adams, Seite 133.
Das Christentum spielt keine große Rolle mehr. Was spielt eine Rolle? Man weiß es nicht. Hinter der Oberfläche ist nichts; oder anders: Die Oberfläche ist alles. Man nennt es gar nicht die Oberfläche, denn dieses Wort zu benutzen, würde aussagen, dass dahinter womöglich etwas sei. Es gibt das, was ist, und was ist, wird untersucht und hin- und hergewendet: Wie es funktioniert, wie es besser funktionieren könnte, was es kostet und wie es weniger kosten könnte. Was das für Leute sind, die es zum Funktionieren bringen.
Es ist gut, dass die Kirche keine Macht mehr über die Herzen hat. Und sonst, bei uns im Westen, was wäre das herrschende Paradigma, das die Gottesfurcht und den Nationalismus ersetzt hat? Ein vager Humanismus, denn wir wollen, dass es allen möglichst gut gehe, und Schonung der Natur, aber alles ist relativ, Ausnahmen werden zugelassen. Menschen wollen schön aussehen, darum gehen sie auch zum Chirurgen, aber nicht, um das »Scheinen der Idee« klarzumachen, als das früher Schönheit galt, sondern weil sie eben schön sein wollen, Punkt.
In Büchern gibt es viel Handlung, Menschen schreien sich an oder lieben sich und tun eine ganze Menge, und alles wird dann aufgelöst, es bleibt kein Rest. Der Sinn ist das, was passiert, und diese Atemlosigkeit entspricht dem vollen Terminkalender der Leserinnen und Leser. Das Finale heißt: Urlaub. Buch gelesen. Pensum geschafft. Ein Staat wird gerettet, erst Zypern, dann Portugal, das ist spannend, das ist wie die Champion’s League, Tausende Flugzeuge starten in einer Stunde, Tausende Urlaube werden geplant, was sollen da versteckte Realitäten?
Was bedeutet das? Bedeutung im Sinne von Referenz bei Gottlob Frege: Worauf deutet es hin? Warum wir hier sind, was wir wollen, was das soll, wo es endet, das sind Fragen, die wir einmal behandeln müssen; wenn nicht jetzt, so später.