Taten statt Worte

Taten statt Worte stand Anfang Mai auf den T-Shirts der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jumbo-Garten- und Heimwerkermarkt in Dietlikon bei Zürich. Es stand in einem blauen Kreis und sollte wohl Mut machen und außerdem sagen: Wir handeln, während andere nur herumquatschen. Über dieses Motto kann man schön nachdenken! 

Es ist natürlich ein banales Motto, es ist eben Public Relation. Doch streng genommen ist das Taten auf dem T-Shirt auch nur ein Wort, das ohne Umsetzung hohl klingt.

Einmal, ich erinnere mich, trat Reinhold Messner in der Nähe in einer Halle auf und pries auch immer irgendwelche Taten, doch es klang immer wieder in seinem Südtiolerischen Deutsch wie Daten. Das trifft’s heute eher: Daten statt Worte. Noch besser: Daten und Worte. Daten statt Taten. Daten werden gierig gesammelt und angehäuft, ohne dass man weiß, was man mit ihnen will.

29 Das wilde Denken (Levi-Strauss)Reine Taten sind in unserer zeitgenössischen Welt auch nicht mehr gefragt, alles muss wortreich erläutert werden. Der Jumbo-Spruch zeigt ja deutlich, dass die Tat ohne das Wort nicht zu denken ist. Mir wurde die jüngste Kritische Ausgabe aus Bonn zugestellt, und das Heft heißt Werkgespräche II (sollte eigentlich Werkstattgespräche heißen, denn wo redet man und wer spricht über was? Spricht das Werk?) Da erläutern deutsche Schriftsteller, wie sie arbeiten, und so sind 97 engbedruckte Seiten entstanden. Und ich blickte kürzlich in einen Kunst-Bildband über das Licht des Künstlers Van Look, und da wird viel theoretisch herumgeredet, und der Künstler spricht von »Lichthaftigkeit, die alles durchdringt« sowie von seiner »Seinsheit«. In der bildenden Kunst von heute wird das Werk vom Künstler selbst erläutert, damit man begreift, wie reflektiert er ist und damit man überhaupt diese Kunst begreift. In der Postmoderne reicht es nicht mehr, bloß ein Werk hinzuzaubern.

021Jesus Christus soll gesagt habe, man möge sein Licht vor den Menschen leuchten lassen, doch wenn man etwas Gutes tue, solle man das so tun, dass man im Hintergrund bleibe. Das ist nicht mehr aktuell. Alle müssen ihre Arbeit und sich selbst verkaufen, die Politiker reden so viel, dass einem Kleists »allmähliche Verfertigung des Gedankens beim Reden« in den Sinn kommt, doch beschlossen wird dann wenig, weil es immer irgendwelche Einwände und Bedenken gibt. Wir wollen ja Konsens um jeden Preis, und unaufhörliches Reden zerfrisst zuverlässig jeden auch noch so harten Entschluss.

Was ist eigentlich eine Tat? Meist ist sie ein Verbrechen, geschehen durch einen Täter: »Die Tat geschah um elf Uhr zehn.« Eine derartige Tat ist oft eine Untat: Sie ist so böse, dass man sich wehrt, sie Tat zu nennen. Es gibt immerhin die Taten des Augustus, des Petrus, des Herakles: seine 12 Aufgaben, die er zu lösen hatte.

CIMG0624Was wäre im Baumarkt eine Tat? Uns das gesuchte Objekt zu zeigen; aber auch das geht nur mittels des Wortes. Ein fehlendes Objekt zu bestellen; auch hierzu ist Sprache nötig: das Ausfüllen eines Formulars. Gott der Herr hat die Schöpfung mit Sprache erschaffen: »Er sagte, es werde Licht und es ward Licht.« Der Magier hat eine unbeirrbare Intention und konzentriert sich so fest auf das angestrebte Ziel, dass — mit nur einer Formel, einem Zauberspruch — die Natur geneigt gemacht wird und reagiert. Vor der Tat steht immer ein Gedanke, meist ausgedrückt in Worten. Alle Bauwerke und Geräte und Objekte waren zunächst eine Idee.

Man hat den Tatmenschen immer bewundert. Doch er ist nur einer, der die Welt verändert, indem er sich über die anderen hinwegsetzt. Ein paar Jahre später könnte man feststellen, dass alles kurzsichtig und wenig durchdacht war, dass da einer die Tat simulierte. Firmen wollen um den Nachwuchs werben und schreiben immerzu, ihre Lehrlinge könnten »Helden« sein. Anscheinend kann der Mensch auch in dieser nüchtern-technischen Epoche nicht ohne eine märchenhafte Überhöhung leben. Andauernd wird etwas verkauft und angepriesen und hemmungslos hinzugelogen.

Schon das Wort Tat ist eine Aufblähung. Wir finden die Tat schön im Faust, in der Szene im Studierzimmer. Der Gelehrte will den Anfang der Bibel übersetzen:

Geschrieben steht: »Im Anfang war das Wort!«
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!

Goethe kannte seine Leute und erriet ihre Wünsche — klare Sachen wollen sie. Etwa einen Diktator, der ihnen sagt, wo’s langgeht, der Entscheidungen fällt. Bloß nicht zögern oder zaudern! Also stellen sich Politiker als die großen Macher dar, und der Trainer erklärt, er werde den Verein retten. Doch das sind alles Illusionen.

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