Erhält Krankheit gesund?

Auf Placebo/Nocebo passt nun gut ein kleiner Beitrag über das Buch Krankheit als Anpassung von Gerd Overbeck, das schon 40 Jahre alt ist. 40 Prozent der Patienten in Allgemeinpraxen leiden unter psychosomatischen Symptomen, das weiß man. Und das wird auch so bleiben. Die Zeit, über die Probleme der Kranken zu reden, fehlt meistens. 

Hier sollen nur ein paar Zitate wiedergegeben werden, die den Gedankengang wiedergeben. Es geht natürlich um die beiden Beschreibungssysteme oder die beiden engen Geschwister Psyche und Körper. Wir können sie nicht richtig trennen, sie sind ein Team, und Psyche wirkt auf Körper, Körper wirkt auf Psyche, bis man irgendwo den Trick findet, die Symptome zum Verschwinden zu bringen: am besten durch Erkenntnis.

imagesgroddyGeorg Groddeck (1866-1934) war ein Wegbereiter der Psychosomatik. Overbeck schreibt:

Hier stellt sich Groddeck genau die Frage, die eigentlich bei jeder Krankheit vom Kranken an sich selbst zu richten ist: Warum ich und nicht ein anderer, warum jetzt und nicht früher, warum an diesem und nicht jenem Organ? Über die Krankheit kann der Kranke mit sich selbst ins Gespräch kommen. Nach dem Prinzip der Stellvertretung sah V. von Weizsäcker das Verhältnis von Leib und Seele gerade darin, dass sie sich wechselseitig darstellen und zu erläutern vermögen. … Um über die körperliche Krankheit Einblick in die seelische Verfassung zu gewinnen, bedarf es in vielen Fällen durchaus keiner Spezialkenntnisse oder analytischer Fähigkeiten … Allein das Hinhören auf die sprachliche Beschreibung einer Krankheit vermag schon sehr viel Einsicht zu vermitteln.

Einige Beispiele werden genannt.

Der Mensch ist in erstaunlich hohem Maße in der Lage, seine Organe und Funktionen nach ganz persönlichenb Motiven einzusetzen. … Eine Patientin hatte die Nacht über trotz normaler Zimmertemperatur so geschwitzt, dass sie zweimal das Nachthemd wechseln musste und morgens froh war, dass sie schließlich aufstehen konnte. … Beiläufig erwähnte sie, dass sie oft Termine zu vergessen pflege. Dabei fiel ihr plötzlich ein, dass sie am Vormittag einen wichtigen Termin gehabt habe und dass sie am Vortage zu ihrer Freundin gesagt habe, den dürfe sie auf keinen Fall »verschwitzen«, sonst sei sie »out«. Über diese pfiffige Art ihres Körpers, sie wach zu halten bzw. ein Verschlafen des Termins zu verhindern, musste sie herzlich lachen. 

Der etwas eigenartige Titel Krankheit als Anpassung wird uns im folgenden erklärt:

Zu welcher Krankheit es kommt, hängt sehr von individuellen, biologischen, lebensgeschichtlichen und psychologischen Faktoren ab. Andererseits ist es wichtig zu sehen, dass »im Stress zu sein« ein Verhalten, ein »way of life« ist, das nicht nur auf die individuelle Psychodynamik zu reduzieren ist, sondern in deutlicher Wechselbeziehung zu bestimmten Normen der Leistungsgesellschaft steht. Die aus diesem Verhalten resultierenden Krankheiten stellen daher Anpassungskrankheiten par excellence dar.

Und noch eine Abrundung als Schlusswort:

imagessymbolWenn man … noch einmal alle Möglichkeiten und Perspektiven , die sich dem einzelnen Menschen in der Krankheit eröffnen, Revue passieren lässt, könnte man zu Recht fragen: »Erhält Krankheit gesund?« Jedenfalls kann man sich der Erkenntnis nicht verschließen, dass Krankheit in vielen Fällen eine beachtliche adaptive Schutzfunktion übernimmt. Je mehr man sich mit psychosomatischen Krankheiten beschäftigt und sieht, was darin alles geleistet wird, desto mehr lernt man sie bewundern. (…)

In seinem »Buch vom Es« sagt Groddeck (1923): »Die Erkrankung ist aber auch das Symbol, eine Darstellung eines inneren Vorgangs, ein Theaterspiel des Es, mit dem es verkündet, was es mit der Zunge nicht auszusprechen vermag« oder: »Denn das unbewusste Es, nicht der bewusste Verstand schafft die Krankheiten. Sie kommen nicht von außen als Feinde, sondern sind zweckmäßige Schöpfungen unseres Mikrokosmos, unseres Es …«.  

 

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