Der Traum ein Leben

Oder: das Leben ein Traum? Das Leben ein Traum, dieses Theaterstück von Calderón de la Barca (1600-1681) war 1818 zum ersten Mal im Burgtheater Wien gespielt worden. Danach begann Franz Grillparzer mit der Niederschrift seines Stücks Der Traum ein Leben. 1834 kam es auf die Bühne und wurde ein Erfolg, weil es dramatisch und philosophisch gleichermaßen ist — und genial aufgebaut. 

IMG_1642Grillparzer mochte Geister- und Feen-Geschichten und folgte mit seinem Stück, das im Orient spielt, dem Zeitgeist. Die deutschsprachige Dichtung blickte ins Weite und entdeckte das Morgenland und Ostasien. Lessing hatte 1779 Nathan der Weise geschrieben, Goethe verfasste den West-östlichen Diwan, Schelling lernte Sanskrit, Schopenhauer las die Upanischaden. Die Romantik bahnte sich an; das Exotische und Mysteriöse wurde bemüht. — In dem Theaterstück stecken viele manipogo-Themen: die Zeit hier und in der anderen Welt (und der Traum-Welt); der ewige Konflikt zwischen den Begehrnissen und dem Gewissen, also zwischen Hirn und Herz; die Neugeburt nach vielen Qualen (davon morgen, natürlich, mehr).

Der junge Rustan ist Neffe des reichen Landmanns Massud, der auch eine hübsche Tochter hat, Mirza. Rustand vergeht fast vor Tatendrang und möchte sich Ruhm und Ehre erwerben, und der »Negersklave« Zanga als advocatus diaboli bestärkt ihn und macht ihn heiß, bis der junge Mann die Pferde satteln lässt. Man kann ihn überreden, erst am folgenden Morgen aufzubrechen. Rustan legt sich hin und hört beim Einschlafen zu Harfenklängen ein Lied:

romaaSchatten sind des Lebens Güter,
Schatten seiner Freuden Schar,
Schatten Worte, Wünsche, Taten,
Die Gedanken nur sind wahr.

Und die Liebe, die du fühlst,
Und das Gute, das du tust;
Und kein Wachen als im Schlafe,
Wenn du einst im Grabe ruhst.

Die Felsenlandschaft des zweiten Aufzugs erscheint, Rustan und Zanga tauchen auf. Rustan ist eine Version des Faust, der auch Taten wollte und sein Gewissen betäubte (der alte Widerstreit zwischen dem Willen und dem Gemüt), und so verkündet er:

»Tu’s!« ließ Geist und Mut sich hören;
»Tu’s nicht!« rief das Herz sie an.
Und sie ließen sich betören,
Um den Zauber war’s getan.

Jemand schreit: Ein Mann wird von einer Schlange bedroht, Rustan springt mit der Lanze hinzu, da erschießt ein anderer Mann vom Felsen herab die Schlange. Der Gerettete ist der König von Samarkand und schenkt Rustan, dem vermeintlichen Schlangenkiller, seinen Dolch. Der gute Schütze ruft provozierend von einer Brücke herunter, die Rustan auch betritt; sie ringen miteinander, und Rustan stößt ihm den Dolch in die Brust. Anscheinend hat Rustan dann an der Spitze der königlichen Truppen die Feinde Samarkands vertrieben und wird triumphal empfangen.

Doch die Leiche des Mannes wird angeschwemmt, den Dolch in der Brust. Rustan gerät unter Verdacht. Eine alte Hexe tritt auf mit einem Trank, den der König zu sich nimmt und stirbt. Die Lage wird ernst, das Volk revoltiert, Rustan muss fliehen und strebt wieder der Brücke zu … Immer näher kommen die Verfolger, Rustan ruft »Weh! Verloren!« und stürzt in den Fluß—

Auf einer Brücke bahnt sich das Drama an, und es endet auf der nämlichen Brücke — vielleicht etwas wie die Schinvat-Brücke der Perser, die Brücke ins Toten- und Traumreich, die im Islam Sirat heißt. — Rustand wacht auf. Er phantasiert noch eine Weile. Dann, zu Mirza:

kirner1Rustan: Nein, bleib fern von mir!
Wüsstest all du, was geschehn,
seit wir uns zuletzt gesehn.
Mirza: Uns gesehn?
Rustan: Der Tagen, Wochen —
Mirza: Wochen, Tage?
Rustan: Weiß ich’s? Weiß ich’s?
Furchtbar ist der Zeiten Macht.
Mirza: War’s denn mehr als eine Nacht?

Massud ist weise und deutet an:

War vielleicht die dunkle Warnung
einer unbekannten Macht,
Der die Stunden sind wie Jahre
Und das Jahr wie eine Nacht.

Rustan will nun nichts mehr von dem Ausflug wissen und verflucht Zanga, den er als Anstifter erkannt hat. Zanga als eine Art Mephistopheles (wie der in Goethes Faust) hatte ihn als seinen Schüler bezeichnet, wenngleich als schwachen Schüler. Rustan schickt Zanga weg. Massud stellt ihm eine Verbindung mit Mirza in Aussicht, bleibt aber vorsichtig:

Doch vergiss es nicht: die Träume,
Sie erschaffen nicht die Wünsche,
Die vorhandnen wecken sie;
Und was jetzt verscheucht der Morgen,
Lag als Keim in dir verborgen.
Hüte dich, so will auch ich.

 

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