Die Panne

Die Geschichten von Friedrich Dürrenmatt, dem Schweizer, sind oft beunruhigend. Die nur 65 Seiten lange Erzählung »Die Panne« liest man in 20 Minuten, wenn man neugierig auf den Schluss ist, und sie hinterlässt Wirkung.

Die kleine Geschichte wurde 1955/56 geschrieben (Dürrenmatt lebte von 1921 bis 1990). Eine heimliche Bedrohung nehmen wir wahr; die Handlung ist an der Oberfläche lustig und jovial, die Beteiligten können sich gut leiden, doch alles drängt auf ein bitteres Ende hin. Ulrich Weber, der Kurator von Dürrenmatts Werken, sprach einmal von dessen »Lust, etwas immer weiter zu denken und zuzuspitzen, etwa auf die ›schlimmstmögliche Wendung‹ hin, auf der Suche nach dem raffiniertesten Schachmatt«.

bremchicAlfredo Traps, ein wohlhabender Handelsvertreter in Textilien mit Villa, Frau und vier Söhnen, hat mit seinem roten Studebaker irgendwo in der ländlichen Schweiz eine Panne. Er darf gratis in einer schönen Villa übernachten und erfährt vom Besitzer, er erwarte am Abend zu einem Essen noch drei alte Freunde. Sie sind wirklich alt, stellen sich Traps vor und wollen ihn an einem »Spiel« teilnehmen lassen.

Die vier wollen Gericht spielen, da sie früher Staatsanwalt, Verteidiger, Richter und Henker (!) waren. Als Angeklagter solle ihnen Alfredo Traps dienen. Wieso? Er habe doch kein Verbrechen begangen, sei schuldlos, meint er. Man isst, man trinkt, und der Staatsanwalt redet mit Traps, was schon ein erstes Verhör darstellt. Es gibt in seinem Leben einen Toten: seinen früheren Chef, der, 52 Jahre alt, einem Herzinfarkt erlag.

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Der Angeklagte spielt mit, trinkt mit, wird offenherzig: Er habe ein Verhältnis mit der Frau des damaligen Chefs begonnen … und habe das später einem Geschäftsfreund erzählt, der es wiederum dem Chef hinterbracht habe … Bald danach brach dieser zusammen. Nach dem Tod habe er dessen Witwe nicht mehr besucht. Die Juristen jubeln. Die Frau sei ihm sozusagen Instrument gewesen, die »Mordwaffe«.

Der Verteidiger will ihn retten, doch Traps nimmt seine Tat an, fühlt sich plötzlich herausgehoben aus seinem Kleinbürgermilieu, durch das Verbrechen geadelt. (Ja, das Böse kann Würze ins Leben bringen, darum gibt es in dieser übersättigten Gesellschaft die vielen Krimis!) Wieder eine neue Flasche wird entkorkt, der Wein wird immer älter, die Männer immer betrunkener, und am Ende wird Alfredo vom Richter zum Tod verurteilt; man legt ihm das Urteil auf den Nachttisch. Und Traps, auch er angetrunken, nimmt anscheinend das Urteil an. Den Henker braucht man nicht mehr.

Ö Ø

Bei manipogo sagen die TestpilotInnen ja immer, man werde dort drüben nicht verurteilt; der Herr sei gütig und langmütig, nur die Taten würden einem gezeigt und wie diejenigen sich fühlten, denen man geschadet habe. »Die Panne« ist in diesem Sinn Teil von Traps‘ Lebensrückblick. Ihm wird gezeigt, dass er nicht nur unbewusst, sondern ziemlich gezielt seinen Chef aus dem Weg räumte; und er gibt es sogar zu. Der sich für schuldlos hielt, erkennt seinen Irrtum und sich selbst.

Man ist ja nicht immer ehrlich mit sich, und dunkle Stellen der Vergangenheit möchte man am liebsten im Schatten liegen lassen. Doch die eigenen Motive müssen ans Licht, jegliche Heuchelei muss verschwinden, die Wahrheit muss offenbar werden; denn der Mensch soll sich sehen, wie er in Wahrheit ist, um sich läutern, um besser werden zu können. Das tut manchmal weh, geht aber nicht anders.

 

Das große Bild ist die Seitenansicht unseres 1907 erbauten Hauses in der St. Galler Bruggstrasse, das wir von 2005 bis 2010 bewohnten.

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