Im Purgatorium

Wie ich auf dem Weg durchs Fegefeuer ein Paradiestörtlein aß, hätte der Titel lauten sollen, doch das ist zu lang. Es war vor ein paar Tagen, und auf dem Weg nach San Vito lo Capo war mir der winzige Ort Purgatorio aufgefallen, was eigentlich Fegefeuer heißt, Purgatorium (von lateinisch purgare = reinigen) oder Reinigungsort. Ich war gespannt.

 

Die Fahrt hinauf wäre für einen schwächeren Radfahrer für mich qualvoll und reinigend gewesen. Immerhin sollte es danach nur noch hinabgehen zum Ort am Kap, vielleicht das Paradies. In Dante Alighieris Verszyklus Die Göttliche Komödie muss der Erzähler, geführt von Vergil, erst durch die Höllenkreise, dann durchs Purgatorium, bis er im Paradies seine Beatrice erblickt und alles gut wird.

Im Fegefeuer trifft er auch Manfred an, den Sohn Friedrichs II., König von Sizilien von 1258 bis zu seinem Tod 1266. Ich weiß nicht, was er verbrochen hat, vermutlich war er einfach kein Christ, was schon reichte, nicht ins Paradies zu gelangen. Ich sah also das Ortsschild Purgatorio vor mir, und darunter passenderweise ein Kreuz mit dem Bild eines Unbekannten.

 

Der Ort ist eine kleine Zeile entlang der Straße, und es gibt eine Bar. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, im Purgatorium einen Cappuccino zu trinken und trat ein. Eine ältere fast zahnlose Frau (wie eine Hexe) begrüßte mich, bereitete den Kaffee zu, und ich fand ein süßes Teilchen, rund und schwer und feucht sowie nach Mandel, Zucker und Aprikose schmeckend, als wär’s aus Arabien. Ich fragte, wie das köstliche Ding heiße. »Tortina Paradiso«, sagte die Frau. Also Paradiestörtlein. 

Der Ort, sagte sie mir, sei vielleicht hundert Jahre alt. Man habe buchi nel tufo gegraben für den Friedhof (das verstand ich nicht: Löcher in den Tuff geschnitten; hier gibt es viele Grotten) und dann hätten sich Leute hier niedergelassen. Draußen saßen zwei Alte auf Stühlen. Irgendwie wirkte Purgatorio wie der klassische verlassene Ort im Western (wir waren ja im Westen Siziliens), über dessen Hauptstraße der Wind Strohballen weht. Ich fragte, wie es im Winter so sei hier, etwa im Januar. Man habe dieses Jahr kein einziges Mal die Heizung gebraucht, sagte die Frau. Kein Wunder, im Fegefeuer wird gut geheizt.

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