Neugeburt

Die Autobahn in Richtung Florenz führte auf Stelzen in einer Linkskurve übers Land. Es war stockdunkel; ich sah die Aufschrift Viareggio und verließ mit dem Auto die Hochbahn, fuhr, desorientiert, unter ihr durch, passierte in Schlangenlinien eine Baustelle und hielt schließlich an einer Tankstelle an. Vor ihr saßen drei Männer.

»Viareggio? Die Straße lang, wieder zurück, 20 Kilometer« beschieden sie mich. Ich dankte, konnte mühevoll einmünden und folgte den roten Lichtern einer Fahrzeugkolonne, die sich lähmend langsam durch die Vororte von Pisa quälte. Das Bild der drei Männer ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Sie schienen in dem fahlen Licht der Tankstelle wie die letzten Überlebenden einer Welt nach dem Untergang. Geruch nach Benzin; Autos fuhren vorbei; das Summen von Reifen auf der Autobahn, Zufahrten und Einfahrten, und finstere Nacht in desolater, zerstörter Landschaft.

Die Toskana, unberührt, ja, schön; aber es wäre Lüge, nicht die vielspurigen Autobahnen zu erwähnen, die wie Schneisen durch die Landschaft geschlagen wurden, die trostlosen Vororte, die Müllhalden, die Einkaufszentren, die kahlen Hochhäuser für hunderte Menschen, die zugeparkten Plätze. In der Poebene stehen verrottete Häuser als Zeugen einer vergangenen Zeit, und man jagt an ihnen vorüber.

Eine solche Verwüstung hat der Mensch hinterlassen. Marco Pierfranceschi schrieb kürzlich in seinem Blog, noch mit 30 Jahren habe er an eine Zukunft mit sauberer Energie, sozialer Gerechtigkeit und Städten mit menschlichem Maß geglaubt; jetzt, mit 50, sehe er, dass die Städte immer noch verschmutzt seien und sich überdimensional ausgebreitet hätten, der Planet überbevölkert und überhitzt sei, dazu Waldzerstörung und die Verschmutzung der Ozeane … Man könne nur schauen, dass sich der gegenwärtige Zustand nicht zu schnell verschlimmere, auch wenn er anfange, daran zu zweifeln, ob das wirklich etwas nutze.

In einem Interview im Februar sagte auch der großartige US-Autor T. C. Boyle, es sei vielleicht zu spät, den Rückwärtsgang einzulegen. Früher hätten die »unzufriedenen, seltsamen Menschen einfach in die nächste Wildnis gehen« können. Alaska sei zu Hippie-Zeiten noch die letzten Granze gewesen. »Jetzt ist sogar Alaska nicht mehr die letzte Grenze. Nun gibt es keine Wildnis mehr.«

Mexiko-Stadt (Foto: G. Braghetti)

»Ohne die Wildnis verschwinden die spirituellen Kräfte, und das Leben ist der Verdammnis geweiht«, schreibt Lawlor. Die geistlosesten Religionen seien in der Wüste oder in Großstädten entstanden, wo Natur abwesend sei. Man müsse zur Traumzeit zurückkehren, müsse indigenen Völkern einen Lebensraum geben und den Menschen die Möglichkeit, friedlich außerhalb der großen Zentren zu leben.

Den Zusammenhang zwischen Körper und Psyche müsste man ihnen erklären, eine neue menschliche Medizin schaffen, die Kindererziehung humanisieren und die Sexualität spiritualisieren; die Erde müsse verehrt und mit Ritualen geehrt werden, die gottgleiche Intelligenz in Pflanzen und Tieren solle man anerkennen sowie die Kraft des Unbewussten und des Spirituellen. Diese Trends seien im Kommen, schrieb Robert Lawlor 1991.

»Wenn wir individuell und kollektiv in die Krise eines Initiationstodes hinabsteigen, wird womöglich die Resonanz einer Vision aus der Tiefe der sterbenden Welt die Kraft der Ahnen berühren, die die Welt in Balance hält. Vielleicht werden sie uns mit fließenden Feldern belohnen, um die unvermeidbare Neugeburt des menschlichen Geistes einzuleiten.«

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.