Niedergemäht

Unschuldige werden wahllos niedergemäht oder die Luft gejagt, weil sie Ungläubige sind oder »gottlosen« Vergnügungen nachgehen: Das wirkt wie ein Vorgriff auf das Jüngste Gericht. Die Männer, die in Paris Schrecken und Tod verbreiteten, schwangen sich zu Herren über Leben und Tod auf. Das ist unfassbar.

Es ging anscheinend darum, möglichst viele Menschen zu töten. Die Killer waren wie selbst programmierte Lenkwaffen, die wahllos Hinrichtungen vollzogen und den eigenen Tod in Kauf nahmen. Die Moderatorin des ARD-Brennpunkts erwähnte die »Professionalität und Kaltblütigkeit« der Täter, aber kaltblütig ist positiv aufgeladen, professionell auch, und wir wollen diesen Wesen doch nicht Ehre antun! Es gibt Dimensionen, für die unsere Alltagssprache nicht taugt. Die Taten von Paris waren, wie der Papst sagte, »nicht menschlich«. So viele Menschenleben wurden jäh abgebrochen. Sie wollten nur ein wenig Spaß haben.

Sogar das Wort Krieg trifft es nicht. Denn auch in Kriegen gab es immer gewisse Regeln, und was die Attentäter taten, wären Kriegsverbrechen – auch so ein eigenartiges Wort, weil im Krieg ja fortdauernd Dinge geschehen, die man als Verbrechen bezeichnen würde. Der »Islamische Staat« maßt sich die göttliche Rache an, und diese Hybris wird bestraft werden.

Dann dachte ich noch einmal darüber nach. Bei aller Abscheu, bei allem Entsetzen sind diese Tötungen nichts out of this world. Mir fielen die Amokläufer ein von Erfurt und Winnenden, die vielen US-Amokläufer, der Norweger, der 97 Schüler im Juli 2012 hinrichtete … Diese Täter richteten am Morgen ihre Waffen her, und es ging ihnen darum, möglichst viele Unschuldige umzubringen, kaltblütig (von mir aus), emotionslos: So groß war ihre Wut auf alles. Sie hätten die ganze Welt umgebracht, wenn sie gekonnt hätten. Sie steckten im Gefängnis ihrer Gedankenwelt fest.

Wie eine Gemeinschaft nach dem Willen der IS-Terroristen aussieht, hat Abderrahmane Sissako in seinem Film Timbuktu gezeigt: Da darf weder gelacht noch gesungen werden. Ein Aufpasser mit Waffe ist immer um die Ecke. Es ist eine Hölle auf Erden. Als nun die kurdischen Peschmerga die Stadt Sinjar im Irak vom IS befreiten, fanden sie ein Grab mit den Überresten von 80 Frauen und Kindern. Die Terroristen verfolgen die kurdischen Jesiten, zu denen sie gehört hatten, und bringen sie als Ungläubige um.

Mohammed hätte das nicht gewollt. Der Koran ist ja ein göttliches Buch, Mohammed hat den Text nur übertragen, glauben die Muslime. Es wird nirgendwo zum Mord an den Ungläubigen aufgerufen, aber manche Stellen klingen aggressiv; doch dazu müssen wir bedenken, dass der Koran im 6. Jahrhundert vor Christus entstand, im Klima der Feindschaft zwischen Stämmen.

In der 8. Sure, Anfal, heißt es etwa, für die Ungläubigen, die Gott und die Apostel in Frage stellten, sei Gottes Bestrafung streng (13.). »So wird gesagt werden: Schmecke von der Bestrafung, denn für die, die Gott widerstehen, ist das Feuer die Strafe.« (14.) »Es bist nicht du, der sie tötete; es war Gott: Wenn du Staub schleudertest, war es nicht deine Tat, sondern die Gottes …«

»Gegen die Gläubigen fahr deine Strenge auf, soweit es deine Macht vermag, und Krieg entfache, und Terror säe ins Herz deiner Feinde und der Feinde Gottes … und was du für den Kampf für Gott einsetzt, wird dir zurückgegeben werden … « (60.) Dann allerdings: »Aber wenn der Feind dem Frieden zuneigt, neige du auch dem Frieden zu und vertraue auf Gott, denn er ist es, der alle Dinge weiß und hört.« (61.)

Die 1990er Jahre in Algerien kommen einem in den Sinn. Die Islamische Heilsfront mit ihrem bewaffneten Ableger Islamische Heilsarmee kämpte gegen die algerische Armee, die ihren Gegnern an Grausamkeit und Hinterhältigkeit in nichts nachstand. In jenem Jahrzehnt starben in Algerien 120.000 Menschen. Dörfer wurden überrannt und niedergebrannt, alle Einwohner getötet. Dies geschah zum Zweck der Einschüchterung. Die Opfer waren nur Mittel zu diesem Zweck. Auch da herrschten blinde Wut und Vernichtungswillen.

Bei uns findet die Auseinandersetzung mit Wut auf den Mitmenschen im Krimi statt. Da gibt es wohl eine düstere Seite in uns, den Schatten. Aber wir haben die Aufklärung erlebt, der Täter hat ein Motiv, das Opfer stirbt aus einem Grund, und der Täter kann alles erklären. So wird eifrig gemordet, die Regisseure überbieten sich gern mit Effekten und Opferzahlen … der Tatort aus Luzern mit dem Snyper, geschmacklos war das, und diese ganzen Autorinnen und Autoren sollten sich schämen. Nun sehen wir wieder, wie der gewaltsame Tod im Leben ausschaut, und man könnte sich ja einmal fragen: Warum diese vielen Krimis?

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