Im „Flow“, mit 300 Sachen

Vor dem Großen Preis von Südkorea heute Morgen hatte Michael Schumacher der Frankfurter Allgemeine Zeitung ein Interview gegeben. Auch er hat den Flow verspürt, das perfekte Rennen, das »vollkommene Glück« dabei. Wie dieser schöne Fluss ist bei 330 auf der Geraden und 150 in der Kurve, wissen natürlich nur wenige. Vor drei Tagen hatte ich diese Erfahrung behandelt. 

Schumacher holte im Jahr 2000 seinen ersten Titel mit Ferrari (das Heilige Jahr in Rom; und die AS Roma holte die italienische Fußball-Meisterschaft). Das Rennen in Suzuka sei ihm in Erinnerung geblieben: 

»Da habe ich diesen Flow gespürt, da hat alles gepasst, da habe ich nichts ausgelassen. Wenn du an die Grenzen gehst und am Limit des Möglichen fährst, dann ist das beinahe wie die erlebte Perfektion. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich, darauf arbeitest du mit den Ingenieuren und Mechanikern die ganze Zeit hin. (…) Für einen Rennfahrer ist dies das vollkommene Glück.«  

Mit 300 auf der Autobahn – und ein Laster setzt zum Überholen an!

Ayrton Senna, der brasilianische Autorennfahrer (gestorben Anfang Mai 1994 in Imola), sagte: »In den Sekunden vor dem Start, wenn der Motor angelassen wird, dann lasse ich mich selbst los, lasse mich irgendwie fallen. Alles bewußte Denken hört auf, alles fließt ganz natürlich wie von selbst ineinander. Es gibt einen Rhythmus, so etwas wie eine perfekte Melodie. Nicht immer, aber es gibt die ewige Suche danach. Wenn ich sie finde, dann fahre ich in eine andere Dimension. Kontrolliert, aber völlig losgelassen, gesteuert nur von einer ureigenen, ja, ich würde fast sagen, von meinen Ur-Instinkten. Ich bin da, in der Gegenwart, aber ich bin zugleich mit und der Zeit voraus. Ich erahne und erspüre vieles mehr, als daß ich es kalkuliere. Leider sind es nur seltene, aber wunderbare Momente.« 

Man vermutet nicht, dass die Formel-1-Fahrer so etwas erfahren, sind sie doch eingesperrt im Cockpit und umgeben von Höllenlärm und höllisch schnellen Bewegungen, und die Fahrerkamera zeigt, mit welcher Anstrengung sie lenken, wie sie sich konzentrieren müssen.  

Ich habe viele Jahre Aussagen von Sportlern gesammelt, um gewissen Grenzerfahrungen im Sport nachzuspüren. Die Flow-Erfahrung muss nicht definiert werden, sie geht aus den Zitaten schön hervor. Erich Bautz über die Vogesen-Etappe bei der Tour de France 1937 :  

»Ich glaube, in meiner ganzen Laufbahn habe ich nie ein größeres Glücksgefühl gekannt. Jauchzen hätte ich mögen vor Freude; mein Pedaltritt ist so leicht und locker, daß mich die Rampen des Ballon d’Alsace, die uns als hochprozentig angekündigt wurden, überhaupt nicht beeindrucken können. Die große Form, der der Rennfahrer manchmal monatelang vergeblich nachjagt, ist plötzlich da. Neun Kilometer lang ist die Steigung, aber ich spüre nicht die geringste Müdigkeit, als ich den Gipfel überfahre, auf dem sich eine gewaltige Menschenmenge drängt.« 

Der Autor 1995 an einem Pass in Frankreich

Im Zen ist es das Herz, das ruhig sein muss, um zu einer Einheit mit den Dingen und dem Sportgerät zu kommen; es muss so still sein, dass sich der Mond in ihm spiegeln kann. Shissai Chozan schrieb im frühen achtzehnten Jahrhundert das Buch Tengu geijutsu-ron über den Schwertkampf. Darin hat er auch eine Stelle über das Reiten.  

»Hast du nie jemanden ein Pferd reiten sehen? Bei einem guten Reiter mag das Pferd nach Osten oder Westen galoppieren — das Herz des Reiters ist ruhig und ausgeglichen, seine Erscheinung ist ruhig und unbewegt. Für den Zuschauer erscheinen Pferd und Reiter wie aus einem Guß. (…) Das Pferd vergißt den Menschen, und der Mensch vergißt das Pferd, sie bilden eine geistige Einheit und sind nicht mehr voneinander geschieden. Man könnte dazu auch sagen, ‚im Sattel kein Reiter und unterm Sattel kein Pferd‘.«

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.