Litanei
Novemberabend. Weihrauchduft. Kirche im Halbdunkel. Dünne Stimmen wehen von den Bänken rechts herüber: »Der du für uns gekreuzigt bist worden.« Dann erhebt sich wieder eine Stimme (jemand kennt sich aus): »Gegrüßest seist du Maria, voll der Gnaden …« So war der Schmerzensreiche Rosenkranz vor 40 Jahren in der Stadtpfarrkirche Landsberg am Lech, und so ist er auch heute noch: eine Litanei.
Ich weiß nicht, was ich damals als 14-Jähriger darüber dachte. Vermutlich: Hoffentlich ist sie bald vorbei (die Litanei). Es ist ein »im Wechsel gesungenes Anrufungsgebet«, sagt der Fremdwörter-Duden. Ich lasse also nebenher Litany von Arvo Pärt laufen, dem estnischen Komponisten und überlege. Die Litanei hat hypnotische Qualität. Die Singenden verfallen in eine Art Trance und geben sich Gott anheim, indem sie, rhythmisch sprechend, vergessen, wer sie sind. Wer sich vergisst, tritt in eine Art Nirwana ein. Da kann alles passieren.
Kirche in SüdfrankreichAber die Litanei soll wohl auch auf den Höchsten wirken und ihm etwas einschärfen. Er soll durch die andauernde Wiederholung gnädig gestimmt werden, bis er, genervt, seine Vergebung ankündigt. Gebete sind oft mantrahafte Wiederholungen, denn im Reich des Geistes zählen nicht glanzvolle Einfälle oder gut gewählte Worte, sondern es zählt die Absicht, der Wille, die Hingabe. Wir müssen unbedingt wollen und bedingungslos glauben, nur dann bewegt sich etwas (wenn wir um etwas beten).
Ex-voto-Täfelchen in Belgien