Schlaffheit
Horaz sollte man immerzu lesen. Auch wenn er manchmal grob ist und überdeutlich. In der Epode 12 fällt er (verbal) über eine Frau her, über die er zuvor real hergefallen war, wobei jedoch seine Erregung ausblieben, er nicht zum Höhepunkt kam. So etwas, zweitausend Jahre alt, darf man schon einmal zitieren.
… Welch ein Schweiß! Wie allenthalben den verrunzelten
Gliedern übler
Geruch entströmt, wenn sie am schlaffen Schwanz
sich müht, die ungezähmte Gier zu stillen, und nicht mehr
will ihr
die feucht gewordene Schminke haften, nicht die
Farbe,
mit Krokodilsmist angemacht. In ihrer Geilheit
bricht sie entzwei Matratzen und das Bettgestell.
Oder aber sie schilt meinen Ekel mit heftigen Worten:
»Bei der Inachia bist du doch weniger schlaff als bei
mir!
Bei Inachia kannst du dreimal pro Nacht, bei mir bist du für eine
einzige
Nummer zu schlapp! Zur Hölle jene, die dich
Schlappschwanz mir gezeigt, als einen Stier ich suchte, diese
Lesbia!
Hatte ich doch Amyntas aus Kos noch bei mir,
in dessen ungezähmtem Schoß das Glied viel fester
als ein junger Baum auf Hügeln haftet. (…)
Mit seinem »Ekel« vor ihr versucht Horaz seine Impotenz zu erklären, und später sagten Männer, sie seien verhext worden, und natürlich war immer die Frau schuld.
In seinen Essays widmet sich Michel de Montaigne (1534-1599) auch dem Problem der männlichen Schlaffheit. Das tut er in Buch I in Kapitel XXI, Über die Einbildungskraft, und er schildert einen Freund, dem ein anderer von seinem Nichtkönnen berichtete und dem sofort dasselbe geschah. Es geht klassisch weiter, wie wir (oder viele) das kennen: Durch das erste Versagen wächst die Angst vor dem nächsten Mal, und wieder passiert nichts. Der Freund fand ein anderes, alternatives Bild, das ihn erhitzte, er machte sich die Folgen der Erzählung bewusst, ging konzentriert in den Akt und konnte danach wieder. Montaigne nennt viele Beispiele aus der Antike.
König Amasi von Ägypten heiratete die schöne Laodice, versagte aber, drohte, sie zu töten, weil er meinte, sie habe ihn verhext. Laodice überredete ihn zu Gebeten und verführte ihn zu Versprechungen und Gelübden gegenüber Venus. Amasi opferte und reinigte sich, und danach fand er sich von der Göttin bestärkt und gestärkt. Die Schwägerin von Pythagoras soll gesagt haben, um dem Mann zu helfen, solle die Frau mit ihren Kleidern auch ihre Scham abwerfen und sie beim Wiederankleiden (mit dem Rock gewissermaßen) wieder an sich nehmen. (Illustration: Rolf Hannes, Moderne Zeiten)
Die Verheirateten, die viel Zeit hätten, sollten nichts übereilen, und es sei sogar besser, die Hochzeitsnacht zu verschieben, wenn man nicht in Form sei; man wähle eine Nacht, in der man intimer sei, in der es ruhiger zugehe, denn ein erstes Versagen sei folgenschwer. Das wusste man schon vor Jahrhunderten.
Man solle auch nicht dem ungehorsamen Glied die Schuld geben. Denn, schreibt Montaigne, wie oft komme es nicht vor, dass ein Teil unseres Körpers verweigere, was von ihm verlangt werde; bei jeder Krankheit sei das so. Wie oft zögen wir eine Grimasse oder handelten spontan, gegen unseren bewussten Willen? Montaigne, der kluge sensible Mann des 16. Jahrhunderts, kannte also Traumata und den Körper als Sitz des Unbewussten. Durch strenge Selbstbeobachtung kam er Dingen auf die Spur, die Freud und seine Nachfolger später in ein System brachten.