Unerhörter Sex
Schöner Einstieg, den sich Elizabeth Bernstein da für ihren Artikel ausgedacht hat: »Selten sind die Ergebnisse von Forschern so befriedigend. Frauen könnten mehr Sex haben wollen, als ihre Ehemänner/Partner meinen.« Der Artikel stand, glaube ich, im »Evening Standard«.
Den hatte ich im Easy Jet gelesen, mit dem ich mitfliegen durfte. Da machten zwei Stunden Verspätung nichts aus. Sie hatten in Gatwick zuviel Sprit eingetankt, und der Kapitän bat um 16 Freiwillige, die die nächste Maschine nehmen sollten, damit der Jet sich leichter in die Lüfte erhöbe. Er drohte, ansonsten die Auswahl selbst zu treffen. (Man hätte aber die Dicksten herauspflücken können/sollen/müssen.) Absurd. Soviel zum Flugverkehr.
Nun zum Geschlechtsverkehr, anknüpfend an meine Episode mit dem sexhungrigen Geist: Pyschologen der Universität Toronto befragten 229 Paare, die schon lange zusammen und zwischen 18 und 68 Jahre alt waren. Für drei verschiedene Studien führten die Paare über Wochen hinweg Tagebuch, ihr Sexualleben (eher: den Geschlechtsverkehr mit ihrem Partner) betreffend.
Das Resultat war klar: Männer unterschätzen andauernd das Verlangen ihrer weiblichen Partner nach Sex, während diese meist zutreffend einschätzten, wie es damit in der jeweiligen Situation bei ihren Männern stand. Die Tagebücher zeigten das. Männer möchten eine Zurückweisung und den Leistungsstress vermeiden und bemänteln dies mit der Meinung, ihr Partner habe ohnehin keine Lust.
Wieviel Sex ist normal? (Was ist schon normal?) Die Forscher entnahmen die Zahlen der größten einschlägigen Studie von 1994 aus Chicago: 32 Prozent haben zwei- oder drei Mal in der Woche Sex, 47 Prozent ein paar Mal im Monat. Eindeutig lässt sich sagen, dass in stabilen, länger als drei Jahre andauernden Beziehungen das Verlangen nach Sex bei beiden Geschlechtern gleich ist. Männer haben keinen stärkeren sex drive.
Die intensive zwischenmenschliche Interaktion, die Sex darstellt, muss irgendwie eingeleitet werden. Manche Frauen tun ungern den ersten Schritt. Oder sie resignieren, nachdem ihr Partner mehrmals ihre Signale nicht hörte, sie also nicht erhörte. Frauen könnten nicht genau wissen, was sie wollen, und darum ihren Wunsch ungeschickt kommunizieren … oder sie wollten keinen Druck auf den Partner ausüben, damit dieser nicht ablehnen (und sich unmännlich fühlen) muss, spekulierten die Psychologen.
Paare sollten sich daher darüber austauschen, mit welchen Signale sie Sex auf die Tagesordnung setzen. (Die Flagge mit dem Stier? Ein Würstchen mit der Gabel aufspießen? Das F-Wort?) Dabei solle man wir sagen statt du. (»Wie machen wir das, damit wir uns beide gut dabei fühlen?«) Partner sollten sich vielleicht doch hineinstürzen, auch wenn ihre Lust nicht riesengroß ist. So bleibt man in Form. Amy Muise von der Universität Toronto schlug sogar vor, einen Tag für Sex festzulegen. (Da kommt mir eine Karikatur in den Sinn. Zwei Eheleute sitzen nebeneinander im Bett, jeder ein Buch vor sich. Plötzlich sagt einer: »War heute nicht unser Sex-Abend?«) Klingt nicht romantisch, hilft aber, sich vorzubereiten, sich darauf zu freuen, aufgeregt zu sein. (Bild: Klares Signal. Troubadour und Angebetete im 14. Jahrhundert. Aufschrift: »Vous ou la mort«: Ihr oder der Tod. British Museum, London)
Eigentlich schade, dass ich nichts damit zu tun habe (wenn nicht zufällig nächtens ein Geist zupackt). Wer sich zum Dienst am Gral entschloss / verzichtet auf die Frauenliebe, heißt es im Parzival von Wolfram von Eschenbach. Mani, der persische Begründer des Manichäismus, war auch ein strenger Asket und verlangte von seinen Anhängern dasselbe. Gehorchen ist immer bequem.