Einfach da sein

Zurück in den fernen September: Da fand ich im Dom zu Schwerin auf einem Büchertisch das 30 Jahre alte Buch Die Metamorphische Methode und nahm es gegen eine Spende mit. Es behandelt die Fußreflexzonen-Massage und auch die Behandlung von Kranken. Und da heißt es: »Wie die Erde kein Motiv hat, hat auch der Behandler der Metamorphischen Methode kein Motiv.«

Es ist kein Zufall, dass ich das Buch gerade in Schwerin fand. Dort sind von den knapp 100000 Bewohnern nur 13 Prozent Christen, die anderen haben kein Bekenntnis. Und das Buch von Gaston Saint-Pierre und Debbie Boater schildert die Massage der Füße mit ihren wohltuenden Folgen ohne weltanschaulichen Ballast, ohne irgendeine Erwähnung von Gott oder höheren Mächten. Wie das Samenkorn habe einzig der Patient die Anlage zum Wachstum. Um ihn gehe es.  

Der Behandler komme den Bedürfnissen der Lebenskraft der Patienten entgegen, »indem er einfach da ist. Er bestimmt nichts, während er die Füße massiert. Er stellt einfach die Lebenskraft in den Brennpunkt.« Er hat kein Motiv, er will nicht einmal eine schnelle Heilung, die ja vielleicht nur die lästigen Symptome beseitigt und den Kern der Störung unangetastet lässt. Der Behandler ist nur ein Katalysator. Die Autoren schreiben, er werde ein um so besserer Katalysator sein, je absichtsloser er sei.  

Die Lebenskraft im Brennpunkt: Jesus vor einer Dresdner Kirche

Das vergessen wir oft. Alle wollen immer nur etwas bewegen und dafür auch den Lohn und Dank einstreichen, weil sie ja so toll sind. Echtes Heilen aber ist Demut. Alle echten Heiler betonen, dass sie sich nur als Kanal für göttliche Energie oder Heilenergie sehen. Gleich fand ich Bestätigung bei meiner Lektüre nebenher.  

Die US-Heilerin Jane Katra meinte in ihrem mit Russell Tart verfassten Buch Miracles of Mind (1998): »Ich entdeckte, dass ich bei dem Prozess nicht etwas für jemanden tat, sondern dass es eher etwas war, das wir gemeinsam taten … Es fühlte sich an, als hätte ich als Instrument die Bedingung geschaffen, die es zuließ, dass die Information und die Energie fließen konnten, aber ich hatte keine Kontrolle darüber. Es ist ein Nicht-Tun und daher auch ein Nicht-Verantwortlichsein für etwas, was geschieht oder nicht geschieht.« (Bild: der Heiler Valentine Greatrakes, Graf von Waterford, 1628–1693, aus dem Buch Der Animale Magnetismus von Emil Schneider, Zürich 1950. 

Der amerikanische Psychiater Nathan Schwartz-Salant schrieb in seinem Buch Die Borderline-Persönlichkeit: »Man muss sich dem Wahnsinn des Patienten stellen; der Therapeut muss lernen, zu sein, ohne unbedingt zu wissen. (…) Wenn man sich hauptsächlich mit der eigenen Fehlbarkeit beschäftigt und die eigene Absurdität ignoriert, kann man nicht begreifen, dass Heilung, wenn sie überhaupt eintritt, aus tieferen Schichten kommen wird.«  (Bild: der Heiler Johann Joseph Gaßner aus Vorarlberg, 1727–1779; Abbildung aus dem oben erwähnten Buch.)

Auch beim Lesen der Tarot-Karten hält sich der Leser zurück; es ist zwar seine Lesung, aber die Informationen stammen von demjenigen, der ihn konsultiert. Jedoch sind Heiler, Psychiater, Kartenleger und Medien auch Menschen, und ganz werden sie nicht verhindern können, dass Material aus ihrem Unterbewusstsein mit einfließt. Darum gehört es zu dem Schwersten, sein Ich zur Seite zu stellen, als Kanal zu dienen, seine Lebenskraft bereit zu stellen und absichtslos nur für einen anderen da zu sein.  

 

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